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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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deine Vorgänger.« Die roten Augen fassten den Fremden in den Blick. »Es ist Zeit, Neuland zu betreten…«
    »Ich kann nicht mehr«, schluchzte der Mann. »Aufhören…«
    Der Geheimdienstchef der Scharlachspitzen verzog in gespieltem Bedauern die blutleeren Lippen. »Er wollte dich retten, weißt du.«
    Achamian sah den Mann wie etwas Belangloses an, das er nur zufällig wahrnahm.
    Nein.
    Das durfte nicht sein. Das würde er nicht zulassen.
    »Nun fragt sich, wie weit deine Gleichgültigkeit geht«, meinte Iyokus. »Wird sie die Verstümmelung eines Freundes zulassen?«
    Nein!
    »Dramatische Effekte sind nur zu Beginn wirkungsvoll. Später gewöhnt man sich daran. Also sollten wir damit beginnen, ihm die Augen auszustechen.«
    Er machte eine kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger. Einer der Kriegersklaven hinter Xinemus packte den Marschall bei den Haaren, zog ihm den Kopf zurück und zückte ein Messer.
    Iyokus sah Achamian kurz an und nickte dann seinem Javreh zu. Der Mann stach fast behutsam zu, als wollte er eine Pflaume aufspießen.
    Xinemus schrie und kniff das Auge um die Schneide herum zu.
    Achamian verschlug es bei dieser Grausamkeit den Atem. Das so vertraute und geschätzte Gesicht mit den tausend freundlichen Runzeln, das so oft traurig gelächelt hatte, war ihm inmitten all der Schrecken stets Zuflucht gewesen. Und jetzt, jetzt…
    Der Javreh zückte das Messer erneut.
    »Xin!«, kreischte Achamian.
    Aber da war noch sein Schatten auf dem Fußboden, und dieser Schatten flüsterte: Ich kenne diesen Mann nicht.
    Nun sagte Iyokus: »Hör mir gut zu, Achamian. Ich rede jetzt von Ordensmann zu Ordensmann. Wir wissen beide, dass du diesen Raum nicht lebendig verlässt. Aber dein Freund hier, Krijates Xinemus…«
    »Bitte!«, jammerte der Marschall. »Bitte!«
    »Ich bin Geheimdienstchef der Scharlachspitzen«, fuhr Iyokus fort. »Nicht mehr und nicht weniger. Ich bin dir und deinem Freund ganz und gar nicht übel gesonnen. Anders als manch anderer muss ich meine Opfer nicht hassen, um meine Arbeit zu tun. Du und dein Leiden sind nur Mittel zum Zweck. Wenn du mir gibst, was mein Orden braucht, Achamian, ist dein Freund für mich nutzlos, und ich setze ihn auf freien Fuß. Darauf gebe ich dir mein Wort als Ordensmann.«
    Achamian glaubte ihm und hätte ihm alles gegeben, wenn er es vermocht hätte. Doch ein seit zweitausend Jahren toter Hexenmeister sah aus seinen Augen und beobachtete das Geschehen mit furchtbarer Teilnahmslosigkeit.
    Iyokus musterte ihn. Seine durchsichtige Haut schimmerte feucht im Fackelschein, und er schüttelte fluchend den Kopf.
    »So ein fanatischer Starrsinn! Solche Standhaftigkeit!«
    Der Hexenmeister im scharlachroten Umhang wirbelte herum und gab dem Kriegersklaven, der Xinemus festhielt, ein Zeichen.
    »Neeeiiin!«, schrie eine klägliche Stimme.
    Ein Fremder zog das Gesicht in blindem Schmerz zusammen. Ich kenne diesen Mann nicht.
     
     
    Der hellbraun getigerte Kater hielt an, kauerte sich mit gespitzten Ohren nieder und heftete den Blick auf die schmale Gasse, in der allerhand Müll verstreut lag. Etwas kroch durch das Dunkel – langsam wie eine Eidechse in der Kälte. Plötzlich sauste es ins staubige Sonnenlicht. Der Kater sprang.
    Fünf Jahre war er durch Iothiahs Gassen und Gossen gestreift, hatte sich von Mäusen ernährt, Ratten aufgelauert und die raren Reste zu ergattern versucht, die die Menschen wegwarfen. Einmal hatte er sogar an dem Kadaver einer anderen Katze genagt, den ein paar Jungen vom Dach geworfen hatten.
    Erst in letzter Zeit hatte er begonnen, sich von Leichen zu ernähren.
    Jeden Tag drehte er mit angeborener Anhänglichkeit die gleiche Runde, mal kriechend, mal schleichend. Er begann in den Gassen hinter dem Agnotum-Markt, wo die Ratten im Abfall stöberten, strich an der eingestürzten Mauer entlang, deren Gräser und Disteln Mäuse anlockten, streifte hinter den Lokalen auf der Pannas herum, zwischen den Tempelruinen und dann durch die labyrinthischen Gänge zwischen den bröckelnden ceneischen Mietshäusern, wo ihm manchmal ein Kind den Nacken kraulte.
    Seit einiger Zeit tauchten Leichen auf seiner Strecke auf. Und jetzt das.
    Er schlich um Hindernisse herum und kroch in das Dunkel, in dem das rennende Etwas verschwunden war. Hungrig war er nicht. Er wollte nur wissen, was seinen Weg gekreuzt hatte.
    Außerdem hatte er Appetit auf lebendige Beute.
    Er kauerte vor einer Ziegelmauer und reckte den Kopf um die Ecke. Dann verharrte er reglos und nahm

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