Der Prinz von Atrithau
an dem er mit Kellhus die Munuäti getötet hatte? Ihre Schönheit? Sie war ein echter Hauptgewinn – das war gewiss. Weniger bedeutende Häuptlinge hätten bei jeder Gelegenheit mit ihr geprotzt und Angebote eingeholt, um zu sehen, wie viel Vieh sie einbrächte, obwohl ein Tausch für sie überhaupt nicht zur Debatte stand.
Dabei war er doch noch immer hinter Moënghus her!
Nein – er hatte Serwë wegen Kellhus mitgenommen. Oder nicht?
Sie war mein Beweis.
Bevor er sie auflas, hatte er Wochen allein mit einem Dûnyain verbracht. Nachdem er nun beobachtet hatte, wie dieser Kerl ein Inrithi-Herz nach dem anderen verschlang, schien es ihm kaum fassbar, überlebt zu haben. Dieser prüfende Blick, der ins Bodenlose ging, diese berauschende Stimme, diese dämonischen Wahrheiten! Wie hätte er Serwë nach so einem Martyrium nicht mitnehmen sollen? Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch einfach, ehrlich und leidenschaftlich – also all das, was Kellhus nicht war. Cnaiür kämpfte gegen eine Spinne. Wie sollte er sich da nicht nach der Gesellschaft von Fliegen sehnen?
Ja, so war es! Er hatte sie als eine Art Markstein mitgenommen, als Erinnerung an das, was menschlich war. Er hätte wissen müssen, dass sie stattdessen ein Schlachtfeld werden würde.
Er hat sie benutzt, um mich verrückt zu machen!
»Entschuldige meine Skepsis«, meinte Proyas. »Viele Männer verhalten sich seltsam, wenn es um Frauen geht – aber du?«
Cnaiür wurde zornig. Was sagte der Prinz da?
Proyas betrachtete die Blätter auf dem Tisch neben sich, deren Ecken sich in der feuchten Luft aufrollten. Geistesabwesend versuchte er, eins mit Daumen und Zeigefinger glatt zu streichen. »Der ganze Irrsinn um Kellhus hat mich nachdenken lassen«, sagte er. »Vor allem über dich. Zu Tausenden scharen sich die Leute um ihn und erniedrigen sich. Zu Tausenden! Und gerade du kannst seine Gesellschaft nicht ertragen, obwohl du ihn am besten kennst. Warum, Cnaiür?«
»Wie gesagt – wegen der Frau. Er hat meine Beute gestohlen.«
»Hast du sie geliebt?«
Männer schlagen ihre Söhne oft, um ihre Väter zu verletzen – das jedenfalls sagten die Geschichtssänger. Warum aber schlagen sie dann ihre Frauen? Und ihre Geliebten?
Warum hatte er Serwë geschlagen? Um Kellhus zu verletzen? Um einen Dûnyain zu kränken?
Wo Kellhus sie liebkoste, hatte Cnaiür zugeschlagen. Wo Kellhus mit ihr flüsterte, hatte Cnaiür geschrien. Je unwiderstehlicher ihr der Dûnyain Liebe abgenötigt hatte, desto mehr Terror hatte Cnaiür auf sie ausgeübt, ohne doch zu verstehen, was er da tat. Damals hatte sie seinen Zorn eben verdient. Du widerspenstige Hure!, hatte er gedacht. Wie konntest du nur?
Liebte er sie? Vermochte er es überhaupt?
Vielleicht in einer Welt ohne Moënghus…
Cnaiür spuckte auf den mit Matten ausgelegten Zeltboden des Prinzen. »Sie gehörte mir! Sie war mein!«
»Und das ist die Quintessenz deines Grolls?«, fragte Proyas. »Nur deshalb bist du voller Wut auf Kellhus?«
Die Quintessenz seines Grolls! Cnaiür hätte fast losgekichert. Es gab keine Quintessenz für das, was er empfand.
»Ich finde dein Schweigen irritierend«, sagte Proyas.
»Und ich finde dein Verhör unverschämt. Du nimmst dir zu viel heraus.«
Das abgehärmte Gesicht des Prinzen zuckte zurück. »Vielleicht«, sagte er und seufzte, »vielleicht auch nicht. Nichtsdestotrotz hätte ich gern eine Antwort, Cnaiür. Ich muss die Wahrheit wissen!«
Die Wahrheit? Was würden diese Kerle mit der Wahrheit anfangen? Wie würde Proyas reagieren?
Er isst dich, und du merkst es nicht. Und wenn er fertig ist, sind nur noch Knochen übrig.
»Und welche Wahrheit wäre das?«, stieß Cnaiür hervor. »Willst du • wissen, ob Kellhus wirklich ein Prophet ist? Hältst du das für eine Frage, die ich beantworten kann?«
Proyas hatte sich erregt vorgebeugt und fiel nun wieder in seinen Stuhl zurück.
»Nein«, keuchte er und strich sich über die Stirn. »Ich hatte nur gehofft, dass…« Er verstummte und schüttelte müde den Kopf. »Aber das alles gehört nicht zur Sache. Ich habe dich kommen lassen, um andere Dinge zu besprechen.«
Cnaiür musterte Proyas und war darüber beunruhigt, dass der Prinz seinem Blick auswich.
Conphas ist auf ihn zugekommen. Sie wollen etwas gegen Kellhus unternehmen.
Warum sollte er weiter für den Dûnyain lügen? Schließlich glaubte er längst nicht mehr, dass Kellhus sich an ihre Vereinbarung halten würde.
Aber was glaubte er
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