Der Prinz von Atrithau
reichen.
Inzwischen stand ganz Caraskand in Flammen – vom Pott (wie die Senke zwischen fünf der neun Hügel hieß) bis zur Altstadt, dem Gebiet also, das von den bröckelnden Resten der kyraneischen Mauer umgeben war, die die Stadt im Altertum geschützt hatte. Überall standen Rauchsäulen am Himmel, doch keine war so groß wie der Aschenturm im Südosten.
Von einem weit im Süden gelegenen Hügel beobachtete Kascamandri von Tepherokar – der Padirajah von Kian und allen Geläuterten Ländern – den Rauch mit Tränen in den sonst so harten Augen. Als seine Späher mit der Katastrophennachricht zu ihm gekommen waren, hatte Kascamandri es erst nicht glauben wollen, sondern darauf bestanden, sein einfallsreicher und kühner Schwiegersohn Imbeyan gebe ihnen nur Rauchzeichen. Nun aber, da er das Desaster mit eigenen Augen sah, musste er sich eingestehen, dass Caraskand – eine Stadt, die dem herrlichen Seleukara nicht nachstand – an die verfluchten Götzendiener gefallen war.
Er war zu spät gekommen.
»Was wir nicht retten können, müssen wir rächen«, verkündete er seinen Granden.
Als Kascamandri noch darüber nachdachte, was er seiner Tochter sagen würde, fing ein Trupp Tempelritter Imbeyan und sein Gefolge ab, die aus der Stadt fliehen wollten. Am Abend wies Gotian die übrigen Hohen Herren an, ihren Stiefel auf die Wange des Sapatishah zu setzen und dabei zu sagen: »Gelobt sei die Macht, die Gott uns über unsere Feinde gegeben hat.« Dies war ein altes Ritual, das seit Beginn der Epoche des Stoßzahns praktiziert wurde.
Danach erhängten sie den Sapatishah an einem Baum.
»Kellhus«, rief Esmenet und lief durch eine Säulengalerie aus schwarzem Marmor. Nie zuvor war sie in einem so großen und luxuriösen Gebäude gewesen. »Kellhus!«
Er wandte sich von den Kriegern ab, die ihn umstanden, und lächelte Esmenet gezwungen und doch berührend kameradschaftlich an, was sie stets schlucken und ihr Herz stets schneller schlagen ließ. So eine wilde, rigorose Liebe!
Sie flog ihm an die Brust, und seine Umarmung gab ihr ein fast rauschhaftes Gefühl von Sicherheit. Er schien so stark zu sein, der ersehnte Fels in der Brandung…
Für Esmenet wie für Serwë war es ein Tag des Zweifels und des Schreckens gewesen. Die Freude über den Fall Caraskands war ihnen schnell genommen worden. Erst hatten sie Nachricht von dem Mordversuch erhalten: Teufel, so behaupteten mehrere Zaudunyani mit weit aufgerissenen Augen, hätten Kellhus in der Stadt überfallen. Nicht viel später waren Männer der Hundert Säulen gekommen, um das Lager zu evakuieren. Niemand – nicht einmal Werjau oder Gayamakri – schien zu wissen, ob Kellhus noch lebte. Dann waren sie beim eiligen Durchqueren der geplünderten Stadt Zeugen furchtbarer Gräuel geworden. Selbst Frauen und Kindern waren unaussprechliche Dinge angetan worden – mit der Folge, dass Esmenet die untröstliche Serwë im Hof des Kaufmannspalasts hatte zurücklassen müssen.
»Du sollst von Dämonen angegriffen worden sein!«, keuchte sie an seiner Brust.
»Nein«, sagte er und lachte leise, »das waren keine Dämonen.«
»Was ist bloß los?«
Kellhus drückte sie sanft von sich weg. »Wir alle haben viel durchgemacht«, sagte er und streichelte ihre Wange. Er schien sie eher zu mustern als anzuschauen, und sie verstand die Frage in seinem Blick: Wie stark bist du?
»Kellhus?«
»Die Prüfung steht unmittelbar bevor, Esmi. Die wahre Prüfung.«
Ein beispielloser Schreck durchfuhr sie.
Nicht du! Du doch nicht!
Er hatte ängstlich geklungen.
IN DER BUCHT VON TRANTIS, WINTER 4111
Auch wenn der Wind noch mitunter in die Segel fuhr, lag die Bucht doch übernatürlich still da. Die Amortanea trieb so ruhig im Wasser, dass man ein Chorum auf der Kante eines Schildes hätte balancieren können.
»Also?«, fragte Xinemus und drehte das Gesicht in der Sonne hin und her. »Was gibt es hier zu sehen?«
Achamian schaute seinen Freund an und blickte dann wieder auf den Strand, der mit Wracks übersät war.
Eine Möwe schrie. Das klang – wie stets – nach gespielter Todesangst.
Sein Leben lang hatte Achamian mitunter Momente wie diesen erlebt: Momente stillen Staunens. Er bezeichnete sie für sich als Heimsuchungen, weil sie stets aus eigenem Willen aufzutauchen schienen. Etwas ließ ihn dann innehalten, das Gefühl, losgelöst zu sein, mal warm, mal kalt, und er fragte sich: Wie kommt es, dass ich dieses Leben führe? Ein paar Augenblicke lang
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