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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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kam eben aus Joktha zurück und berichtete, immer mehr Männer des Stoßzahns würden sich jemandem namens Kelah zuwenden – einem Wundertäter, der dem Wüstensand Wasser abzuringen vermag.«
    Achamian merkte, dass er die Hand an die Brust presste. Sein Herz pochte.
    »Akka?«, murmelte Xinemus.
    »Er ist es, Xin… Er muss es sein.«
    »Ihr kennt ihn?«, fragte Meümaras mit ungläubigem Lächeln. Klatsch war unter Seeleuten fast so begehrt wie Gold.
    Aber Achamian konnte nicht sprechen. Stattdessen klammerte er sich an die hölzerne Reling und kämpfte mit einem plötzlichen, seltsam euphorischen Schwindel.
    Esmenet lebte. Sie lebt!
    Doch er merkte, dass seine Erleichterung tiefer ging. Auch der Gedanke an Kellhus ließ sein Herz schneller schlagen.
    »Sachte!«, rief der Kapitän und griff ihn bei den Schultern.
    Achamian sah ihn dumpf an. Er wäre fast ohnmächtig geworden.
    Kellhus. Was rührte dieser Mann nur in ihm auf? Das Bedürfnis, mehr zu sein als er war? Aber wer außer Hexenmeistern hatte schon Ahnung von Dingen, die über den Menschen hinausgingen? Wenn Hexer über Gläubige höhnisch grinsten, dann, weil der Glaube sie zu Ausgestoßenen gemacht hatte und anscheinend nichts von der Transzendenz wusste, auf die er ein Monopol zu haben beanspruchte. Warum sich beugen, wenn man andere unterjochen konnte?
    »Hier«, sagte Meümaras. »Setzt Euch für einen Moment.«
    Achamian wehrte die väterlichen Hände des Kapitäns ab. »Es geht schon wieder«, keuchte er.
    Esmenet und Kellhus lebten! Die Frau, die sein Herz, und der Mann, der die Welt retten konnte…
    Er spürte stärkere Hände an den Schultern. Xinemus.
    »Lasst ihn«, hörte er den Marschall sagen. »Diese Seefahrt ist nur ein Bruchteil unserer Reise.«
    »Xin!«, rief Achamian und hätte fast in sich hineingelacht.
    Der Kapitän zog sich zurück – schwer zu sagen, ob aus Mitleid oder aus Verlegenheit.
    »Sie lebt«, sagte Xinemus. »Wie froh muss sie sein!«
    Diese Worte verschlugen Achamian den Atem. Dass Xinemus, der mehr litt, als sein Freund es sich vorstellen konnte, seinen Schmerz außer Acht zu lassen vermochte, um…
    Seinen Schmerz. Achamian schluckte und versuchte, eine Erinnerung an Iyokus zu verdrängen, an seine roten Albinoaugen nämlich, in denen ein so lässiges wie müdes Bedauern gestanden hatte.
    Er ergriff die Hand seines Freundes, und sie umarmten einander mit der Hingabe, die die Verzweiflung ihnen erlaubte.
    »Bei meiner Rückkehr wird es Feuer geben, Xin.«
    Er ließ seinen tränenlosen Blick über die zerstörten Schiffe schweifen. Plötzlich sahen sie eher nach Übergang als nach Ende aus und erinnerten ihn zugleich an die Rückenpanzer riesiger Käfer.
    Die rotkehligen Möwen hielten neidisch Wache.
    »Ja, es wird Feuer geben«, wiederholte er.

22. Kapitel
     
    CARASKAND
     
     
     
    Alles hat seinen Preis. Wir zahlen mit Atemzügen, und unsere Börse ist rasch leer.
     
    Die Chronik des Stoßzahns, 57. Lied, dritte Strophe
     
     
    Wie viele alte Tyrannen liebe auch ich meine Enkelkinder abgöttisch. Ich habe große Freude an ihren Wutanfällen, ihrem kreischenden Lachen und ihren sonderbaren Launen. Ich verwöhne sie mutwillig mit Honigstangen. Und ich staune über die gesegnete Ignoranz, die sie der Welt und all ihren grinsenden Mäulern gegenüber an den Tag legen. Soll ich ihnen – wie mein Großvater es getan hat – diese Kindlichkeit austreiben? Oder soll ich ihnen ihre Verblendung nachsehen? Selbst jetzt, da die Schatten des Todes sich um mich sammeln, frage ich noch: Warum soll die Unschuld sich der Welt gegenüber rechtfertigen? Vielleicht sollte die Welt der Unschuld gegenüber rechenschaftspflichtig sein… Ja, das gefällt mir besser. Ich bin es leid, an allem schuld zu sein.
     
    Stajanas II.: Grübeleien

CARASKAND, WINTER 4111
     
    Am nächsten Morgen lag ein Rauchschleier über Caraskand, der die weiter entfernten Stadtteile wie in Watte gepackt wirken ließ. Ausgebrannte Großbauten ragten zum Himmel, und überall lagen Tote: vor qualmenden Gotteshäusern, in geplünderten Palästen und auf den berühmten Basaren.
    Ein einsames Horn klang klagend über die Dächer. Noch erschöpft vom Blutrausch des Vortags, rappelten die Männer des Stoßzahns sich nur mühsam auf und rechneten mit einem Tag der Buße und der melancholisch eingetrübten Siegesfeiern, doch aus mehreren Ecken der Stadt erklangen weitere Hörner und riefen sie zu den Waffen. Gepanzerte Ritter liefen scheppernd durch die Straßen

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