Der Prinz von Atrithau
schienen dann die vertrautesten Dinge – der Wind, der ihm über die Arme strich; Esmenets Körperhaltung, wenn sie mit großer Mühe ihrer beider spärliche Habseligkeiten packte – weit entfernt. Und vom Geschmack in seinem Mund bis zum unsichtbaren Horizont schien die Welt ihm ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, und er murmelte im Stillen: Wie kann das sein?
Vom Staunen abgesehen, gab es darauf nie eine Antwort.
Ajencis hatte diese Erfahrung umresthei om aumreton genannt, Besitzen im Nichtbesitzen also. In seinem berühmtesten Werk, der Dritten Analyse des Menschengeschlechts, behauptete er, sie sei das Herz der Weisheit, das verlässlichste Zeichen für eine erleuchtete Seele. Wie wahrem Besitz Verlust und Rückgewinn vorausgegangen sein müsse, so benötige ein wahres Dasein umresthei om aumreton. Anderenfalls stolpere man nur durch einen Traum.
»Schiffe«, sagte Achamian zu Xinemus, »verbrannte Schiffe.«
Die Ironie bestand natürlich darin, dass umresthei om aumreton alles traumhaft, von Fall zu Fall aber auch alptraumhaft werden ließ.
Die leblosen Höhen der Küstenberge von Khemema umgaben die Bucht wie eine Mauer. Unterhalb der stufenweise ansteigenden Steilhänge lagen ein paar schmale Strände. Ihr Sand war leinenweiß, doch so weit das Auge reichte, beeinträchtigte eine Kruste aus verkohlten Trümmern den Anblick, die an Schweißringe am Ärmelansatz eines Feldsklavenkittels denken ließ. Überall sah Achamian verbrannte Schiffe und Schiffsreste. Es mussten hunderte von Wracks sein, auf denen unzählige Möwen mit roten Kehlen saßen.
Rufe klangen über das Deck der Amortanea. Der Kapitän, ein Nansur namens Meümaras, hatte Anker werfen lassen.
Ein Stück vor der Küste lagen mehrere halbverbrannte Wracks – anscheinend Triremen – auf einer Sandbank. Dahinter lugten etwa zehn Buge aus dem Wasser, an deren Vordersteven jeweils ein eiserner, inzwischen ganz verrosteter Widderkopf montiert war. Auch die in strahlenden Farben gemalten Augen der Widder waren rissig geworden und blätterten ab. Die Mehrzahl der Schiffe allerdings drängte sich an der Küste und erinnerte seltsam an gestrandete Wale, obwohl sie offenbar von einem Sturm an Land geworfen worden waren. Von einigen war kaum mehr übrig als ein paar verkohlte Rippen über einem Kiel. Bei anderen war der Rumpf noch ganz, doch sie lagen auf der Seite oder sogar kieloben. Ganze Batterien gebrochener Ruder ragten zum Himmel, und Seegras hing in langen Schleppen von der Reling. Und wohin Achamian auch schaute, sah er Möwen.
»Hier haben die Kianene die kaiserliche Flotte vernichtet«, erläuterte Achamian. »Hier wäre es dem Padirajah fast gelungen, den Heiligen Krieg zu zerstören…« Er dachte daran zurück, wie Iyokus ihm das Desaster beschrieben hatte, während er selbst hilflos im Keller des Gebäudes der Scharlachspitzen an Ketten gehangen hatte. Seither fürchtete er nicht mehr um sich, sondern um Esmenet.
Kellhus sorgt gewiss stets dafür, dass sie in Sicherheit ist.
»Die Bucht von Trantis«, sagte Xinemus traurig. Inzwischen kannte die ganze Welt diesen Ort. Die Schlacht von Trantis war die größte Niederlage zur See in der Geschichte des Kaiserreichs. Nachdem der Padirajah die Männer des Stoßzahns weit in die Wüste gelockt hatte, griff er ihre einzige Wasserressource an – die kaiserliche Flotte. Obwohl niemand wusste, was genau geschehen war, wurde allgemein vermutet, Kascamandri habe viele Cishaurim an Bord seiner Schiffe verstecken können. Gerüchten zufolge waren die Kianene nach der Schlacht fast vollzählig zurückgekehrt – nur zwei Galeeren hatten sie verloren, und beide waren in einem Sturm gesunken.
»Was siehst du?«, wollte Xinemus wissen. »Wie sieht es aus?«
»Die Cishaurim haben alles verbrannt«, gab Achamian zurück.
Er hielt inne und verspürte einen tiefen Widerwillen, mehr zu sagen. Es schien ihm seltsam gotteslästerlich, ja ein Sakrileg, dieses Ereignis in Worte zu kleiden. Andererseits kam, wer den Verlust anderer beschrieb, nun mal um Worte nicht herum.
»Überall liegen verkohlte Schiffe… Sie sehen wie Seehunde aus, die sich an der Küste sonnen. Und es gibt tausende von Möwen… Auf Nron nennen wir sie Gopas. Das sind die, deren Kehlen durchschnitten scheinen. Bösartige Viecher sind das.«
In diesem Moment entfernte sich Meümaras, der Kapitän der Amortanea, von seinen Leuten und kam zu ihnen an die Reling. Seit der ersten Begegnung in Iothiah hatte Achamian ihn gemocht. Er
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