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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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zu beruhigen. Hör einfach zu, sagten die schönen Augen des Mädchens. Serwës irrsinnige Zuversicht hatte Esmenet immer verblüfft und beunruhigt. Die Überzeugung des Mädchens war mehr als monumental: Sie schien mit dem Boden verwachsen zu sein, so unumstößlich war sie.
    Sie hat mich aus Liebe zu ihm in ihr Bett gelassen.
    »Wer greift uns an?«, fragte Gayamakri.
    »Conphas«, stieß Werjau hervor. »Wer sonst? Er arbeitet seit Shigek gegen uns…«
    »Dann müssen wir zuschlagen!«, rief der weißhaarige Kasaumki. »Der Heilige Krieg muss sich reinigen, ehe er die Belagerung durchbrechen kann!«
    »Blühender Unsinn!«, polterte Hilderuth. »Wir müssen verhandeln… Du musst zu ihnen gehen, Meister.«
    Kellhus brachte sie mit einem bloßen Blick zum Schweigen.
    Manchmal fand Esmenet es beängstigend, wie mühelos er diese Männer herumkommandierte. Aber es musste so sein. Wo andere von einem Moment zum nächsten stolperten und kaum ihre Sehnsüchte, Verletzungen und Hoffnungen verstanden (von denen anderer ganz zu schweigen), fing Kellhus jeden Moment – und damit auch jede Seele – wie eine Fliege. Esmenet hatte begriffen, dass seine Welt keine Oberflächen kannte, sondern aus Rauchglas bestand, durch das man blicken musste, um von den Worten und der Mimik des Einzelnen bis zu den Kriegen und der Mentalität ganzer Nationen alles zu erkennen.
    Er war der Kriegerprophet, also die Wahrheit. Und die Wahrheit befehligte alle Dinge.
    Sie unterdrückte den plötzlichen Drang, ihn vor Freude und Erstaunen zu umarmen. Sie saß zur Rechten der herrlichsten Seele, die je auf Erden gewandelt war. Sie küsste die Wahrheit. Sie schlief mit der Wahrheit. Das war mehr als eine Wohltat, mehr als ein Geschenk…
    »Sie lächelt«, rief Werjau. »Wie kann sie in so einer Situation lächeln?«
    Esmenet warf dem kräftigen Galeoth einen raschen Blick zu und errötete verlegen.
    »Weil sie sieht, was du nicht sehen kannst, Werjau«, sagte Kellhus nachsichtig.
    Esmenet war sich da nicht so sicher… Sie hatte doch nur mit offenen Augen geträumt, oder? Werjau hatte sie einfach dabei erwischt, wie sie, wie ein junges Mädchen von Kellhus fantasierte…
    Warum dröhnte der Boden dann aber so? Und die Sterne… Was sah sie wirklich?
    Etwas Unvergleichliches.
    Ihre Haut kribbelte. Die Meisterschüler des Kriegerpropheten musterten sie, und Esmenet sah durch ihre Mienen in ihr sehnsüchtiges Herz. Wenn man sich klar machte, wie viele irregeführte Seelen ein Leben voller Illusionen in unwirklichen Welten lebten! Dieser Gedanke machte ihr Angst und brach ihr beinahe das Herz.
    Und zugleich erfüllte er sie mit einem Gefühl des Triumphs.
    Etwas Absolutes.
    Ihr Herz flatterte unter Kellhus’ leuchtendem Blick, und sie kam sich vor wie Rauch und nacktes Fleisch zugleich: wie etwas, durch das man durchsieht und das man doch begehrt.
    Es gibt mehr ab mich… Mehr als das hier – ja!
    »Sag es uns, Esmi«, rief Kellhus. »Sag uns, was du siehst!«
    Es gibt mehr als sie.
    »Wir müssen angreifen«, sagte sie und wusste, dass ihr Meister genau dies hören wollte. »Wir müssen ihnen die Dämonen in ihrer Mitte zeigen.«
    So viel mehr!
    Der Kriegerprophet lächelte von ihren Lippen.
    »Wir müssen sie töten«, sagte ihre Stimme.
     
     
    Das Wesen namens Sarcellus hastete durch die dunklen Straßen dem Hügel entgegen, auf dem Conphas und seine Leute Quartier bezogen hatten. Die Nachricht, die der Neffe des Kaisers ihm gesandt hatte, war einfach: »Kommt schnell. Gefahr in Verzug.« Er hatte zu unterschreiben versäumt, doch seine akkurate Handschrift war unverwechselbar.
    Sarcellus bog in eine Gasse, die nach Schweiß und Tierfett stank. Noch mehr heruntergekommene Inrithi, dachte er nur. Seit der Heilige Krieg hungerte, begannen immer mehr Männer des Stoßzahns, wie Tiere zu leben, jagten Ratten, aßen Dinge, die man besser nicht essen sollte, und bettelten…
    Die armen Teufel rappelten sich auf, als er zwischen ihnen durchging, sammelten sich um ihn, streckten die schmutzigen Hände aus und zupften ihn am Ärmel. »Gnade«, stöhnten und murmelten sie, »Gnade!« Sarcellus stieß sie zurück, um seinen Weg fortzusetzen, und schlug auf die hartnäckigeren Männer ein. Nicht, dass er prinzipiell gegen sie gewesen wäre – schließlich hatten sie sich oft als nützlich erwiesen, wenn der Hunger zu groß wurde, denn niemand vermisste Bettler.
    Außerdem führten sie einem sehr gut vor Augen, wie der Mensch eigentlich war.
    Bleiche

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