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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Hände langten aus geraubter Seide nach ihm. Erbärmliche Schreie drangen durchs Halbdunkel. Dann sagte ein zerlumpter Mann vor ihm mit der tiefen, rauen Stimme eines Betrunkenen: »Wahrheit leuchtet.«
    »Wie bitte?«, stieß Sarcellus hervor und hielt an.
    Er packte den Mann bei den Schultern und riss ihm den Kopf hoch. Sein Gesicht war zwar ramponiert, aber alles andere als demütig. Sein Blick war eisenhart. Sarcellus begriff, dass er nicht zu denen gehörte, die geschlagen wurden, sondern zu denen, die austeilten.
    »Wahrheit«, sagte der Mann, »stirbt nicht.«
    »Was soll das hier werden?«, fragte Sarcellus und ließ ihn los. »Ein Raubüberfall?«
    Der Mann mit dem stahlharten Blick schüttelte den Kopf.
    »Ach so«, sagte Sarcellus und begriff plötzlich. »Ihr gehört zu ihm… Wie nennt ihr euch noch mal?«
    »Zaudunyani.« Der Mann lächelte, und Sarcellus hatte kurz den Eindruck, noch nie ein so furchteinflößendes Lächeln gesehen zu haben. Die bleichen Lippen seines Gegenübers waren zu einer leidenschaftslosen Linie zusammengepresst.
    Dennoch höhnte er: »Sklaven des Kriegerpropheten seid ihr also? Wisst ihr eigentlich, wer ich bin?«
    »Du bist tot«, sagte einer von hinten.
    Sarcellus lachte und ließ den Blick über die Gesichter derer schweifen, denen er den Hals brechen würde. *
    Doch seine gute Laune schwand, als er dem Mann mit dem eisernen Blick wieder in die Augen sah, und das Gesicht unter seinem Gesicht runzelte erschrocken die Stirn… Die haben wirklich keine Angst!
    Etwas regnete auf ihn herab, und er war plötzlich durchnässt. Öl! Sie hatten ihn mit Öl begossen! Er blickte von links nach rechts, blies sich Flüssigkeit von den Lippen, schüttelte sie von den Fingerkuppen und merkte, dass auch seine Möchtegern-Attentäter begossen worden waren.
    »Ihr Dummköpfe! Wenn ihr mich anzündet, verbrennt ihr auch!«
    Im letzten Moment hörte er eine Bogensehne schwirren und einen brennenden Pfeil durch die Luft zischen. Er sprang zur Seite, und das Geschoss traf den Mann mit den eisenharten Augen. Flammen schlugen aus seinem Umhang und ergriffen seine Kutte.
    Statt aber zu Boden zu stürzen, hechtete der Mann mit starr auf Sarcellus gerichtetem Blick vor und umarmte ihn. Der Schaft brach ab, und die Flammen sprangen von seiner Brust auf die des Tempelritters über.
    Das Feuer verzehrte beide. Das Wesen namens Sarcellus heulte und kreischte und starrte entgeistert auf die eisernen Augen, um die die Flammen loderten.
    »Wahrheit…«, flüsterte der Mann.
    Wie sehr Ikurei Conphas doch einem Kind glich, als er da nackt, halb verdreht und mit leicht nach hinten gekipptem Kopf in den Laken lag und träumend in einen fernen Himmel zu sehen schien. General Martemus stand im Dunkeln, musterte seinen schlafenden Befehlshaber und wiederholte leise den Befehl, der ihn – ein Messer in der Hand – hierher gebracht hatte.
    »Heute Nacht, Martemus, werde ich meine Hand ausstrecken…«
    Seine Anweisung war mit keiner Order vergleichbar, die er je bekommen hatte.
    Martemus hatte die meiste Zeit seines Lebens Befehle befolgt, und obwohl er unermüdlich versucht hatte, sie alle – auch wenn sie sich als verheerend erweisen sollten – auszuführen, hatte er sich stets Gedanken über ihren Ursprung gemacht. Wie dunkel oder erhaben die Kanäle auch waren: Die Befehle waren immer von irgendwo in dieser wirren und verdorbenen Welt gekommen – von mürrischen Offizieren, gehässigen Beamten oder prahlerischen Generälen. Kein Wunder, dass er oft gedacht hatte, was für einen zum Dienen erzogenen Mann verheerend war: Ich bin bedeutender als das System, dem ich gehorche.
    Der Befehl allerdings, den er nun befolgte…
    »Heute Nacht, Martemus…«
    Dieser Befehl war nicht von dieser Welt.
    »Ich werde ein Leben auslöschen.«
    So einen Befehl zu befolgen, war seiner Überzeugung nach mehr als nur eine Art Gebet: Es war Fleisch gewordene Anbetung. Alle Dinge von Bedeutung schienen ihm inzwischen nur noch Formen eines großen Gebets.
    So hatte der Kriegerprophet es ihm beigebracht.
    Martemus hob die silberne Klinge ins Mondlicht, und einen Moment lang schien sie ihm wie gemacht für Conphas’ Kehle. Vor seinem geistigen Auge sah er den Erben des Kaisers tot, seine herrlichen Lippen zu einem letzten: Atemzug geöffnet, seine glasigen Pupillen ins Jenseits starrend. Er sah Blutlachen auf zerknitterten Laken stehen wie Wasser zwischen Lotosblüten. Der General ließ den Blick durch das luxuriöse Schlafzimmer

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