Der Prinz von Atrithau
selbst. »Ihr habt es ja gesehen.«
»Allerdings«, sagte Chinjosa merkwürdig zögernd. »Sie gehören zu den Augenlosen, den Schlangenköpfen. Es kann keine andere Erklärung geben.«
»In der Tat«, erklärte Conphas mit dröhnendem Ernst. »Der Mann, den die Zaudunyani den Kriegerpropheten nennen, ist ein Lügner, der die Privilegien eines Prinzen beansprucht. Vor allem aber ist er ein Agent der Cishaurim, der uns verderben, Zwietracht zwischen uns säen und den Heiligen Krieg zerstören soll!«
»Und das ist ihm gelungen«, rief Gothyelk bestürzt. »In jeder Hinsicht!«
Einspruch und Wehklagen hallten durch den Saal. Achamian aber wusste, dass das Verhängnis längst nicht nur in Caraskand seine Kreise zog. Ich muss einen Weg finden…
»Wenn Kellhus ein Agent der Cishaurim ist«, rief Proyas, »warum hat er uns dann in der Wüste gerettet?«
Achamian drehte sich zu seinem ehemaligen Schüler um und fühlte sich seltsam ermutigt.
»Um sich selbst zu retten«, stieß Conphas ungeduldig hervor. »Warum sonst? So sehr Ihr meiner Verschlagenheit misstrauen mögt, Proyas – in diesem Punkt müsst Ihr mir glauben. Kellhus ist ein Agent der Cishaurim. Wir beobachten ihn seit Momemn – seit sein schweifender Blick Skeaös meinem Onkel verraten hat.«
»Was soll das heißen?«, platzte Achamian heraus.
Conphas sah ihn verächtlich an. »Was glaubst du wohl, wie mein Onkel Skeaös als Kundschafter entlarvt hat? Er hat deinen Kriegerpropheten mit ihm Blicke tauschen sehen, die weit intensiver waren, als ihre Bekanntschaft vermuten ließ.«
»Er ist nicht mein Kriegerprophet!«, schrie Achamian geradezu reflexartig und war über seinen Ausbruch so schockiert wie die anderen am Tisch.
Kellhus hat sie von Anfang an sehen können…
Und doch hatte der Dûnyain nichts gesagt. Den ganzen Marsch über und während all ihrer Gespräche über Vergangenheit und Gegenwart hatte er über die Hautkundschafter Bescheid gewusst.
Ohne auf die musternden Blicke der Hohen Herren zu achten, rang Achamian nach Luft und griff sich an die Brust. Vor Angst bekam er eine Gänsehaut. Plötzlich erhielten viele Fragen von Kellhus – vor allem, was die Rathgeber und den Nicht-Gott anging – einen ganz anderen Sinn.
Er hat mich ausgenutzt! Mich meines Wissens wegen gebraucht! Um zu verstehen, was er sah!
Achamian sah Esmenets weiche Lippen noch einmal die furchtbaren Worte sagen: Ich bin von ihm schwanger.
Wie hatte sie ihn nur verraten können?
Er dachte an die Nächte, da sie gemeinsam im Dunkel seines ärmlichen Zelts gelegen und er ihren schlanken Rücken an seiner Brust gespürt und über die eiskalten Zehen gelächelt hatte, die sie zwischen seine Waden schob. Zehn kleine Zehen, jeder kalt wie ein Regentropfen. Er dachte an das matte und doch atemlose Staunen, das ihn dann langsam erfüllte. Warum hatte diese wunderschöne Frau sich ausgerechnet für ihn entschieden? Wie konnte sie sich in seinen unglücklichen Armen sicher fühlen? Ihr Atmen erwärmte die Luft im Zelt, während draußen im Umkreis von tausend Meilen alles fremd und frostig wurde. Und er hielt sie so fest umklammert, als stürzten sie ins Bodenlose. Stets hatte er sich dann über sich geärgert und gedacht: Sei kein Narr! Sie ist da! Sie hat geschworen, dass du nie mehr allein sein wirst!
Doch genau das war er nun. Er war allein.
Selbst sein Maultier Tagesanbruch war tot.
Er sah die Hohen Herren an, die ihn alle musterten, und empfand keine Scham – die hatten die Scharlachspitzen offenbar aus ihm herausgefoltert –, sondern nur Einsamkeit, Zweifel und Hass.
Er hat es tatsächlich getan! Er hat sich über sie hergemacht!
Achamian erinnerte sich an Nautzera, der ihn – es musste in einem anderen Leben gewesen sein – gefragt hatte, ob das Leben seines Schülers Inrau die Apokalypse wert sei. Damals hatte er eingeräumt, kein Mensch und keine Liebe sei so ein Risiko wert. Und nun hatte er wieder nachgegeben: Er würde den Mann retten, der sein Herz zerteilt hatte, weil sein Herz die Welt und die Zweite Apokalypse nicht wert war.
Oder doch?
Achamian hatte letzte Nacht allenfalls gedöst, während Proyas tief geschlafen hatte. Und erstmals seit er ein Hexenmeister der Mandati war, hatte er nicht von den alten Kriegen geträumt. Sondern davon, wie Kellhus und Esmenet sich in verschwitzten Laken liebten.
Während Drusas Achamian sprachlos vor den Hohen Herren saß, wurde ihm klar, dass er sein Herz in der einen, die Apokalypse in der anderen Hand
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