Der Prinz von Atrithau
Angst, die an euren Eingeweiden zehrt, und an das Entsetzen, das euer Herz erfüllt!«
»Das reicht jetzt!«, rief Gothyelk und sein Gesicht war aschfahl.
»Nein!«, donnerte Achamian. »Das reicht nicht, denn was ihr nun erleidet, habe ich mein Leben lang erlitten – Tag und Nacht. Verhängnis liegt auf eurer Seele, verdüstert eure Gedanken und beschwert eure Schritte. Ich spüre, wie euer Herz bei meinen Worten schneller schlägt und euch das Atmen schwerer fällt – doch ihr habt noch viel, sehr viel zu lernen!
Vor tausenden von Jahren, ehe die Menschen das Kayarsus-Gebirge überschritten und sogar ehe die Chronik des Stoßzahns entstand, beherrschten die Nichtmenschen ganz Eärwa. Wie wir führten auch sie untereinander Krieg – um der Ehre, um Reichtümer und selbst um des Glaubens willen. Doch den größten Krieg führten sie nicht gegeneinander oder gegen unsere Vorfahren – obwohl sie ihr Untergang sein sollten –, sondern gegen die Inchoroi, monströse Gestalten, die in Fleischeslust schwelgten und aus dem Leben perverse Genüsse schmiedeten, wie wir aus Eisen Waffen schmieden. Die Sranc, die Bashrags und sogar die Wracu, die Drachen also, sind Überbleibsel ihrer alten Kriege gegen die Nichtmenschen.
Unter dem großen Cu’jara-Cinmoi bekämpften die Nichtmenschen sie allerorten. Unter furchtbaren Opfern warfen sie die Inchoroi auf ihre erste und letzte Festung zurück, auf einen Ort, den die Nichtmenschen Min-Uroikas nannten, die Grube der Abscheulichkeiten. Ich kann die Schrecken dort gar nicht aufzählen. Die Inchoroi also wurden besiegt und vernichtet – das nahm man jedenfalls an. Die Nichtmenschen legten einen Bann auf Min-Uroikas, damit es für immer verborgen blieb. Dann zogen sie sich – siegreich, aber gebrochen – erschöpft und tödlich geschwächt in die Überbleibsel ihrer zerstörten Welt zurück.
Jahrhunderte später überschritten Menschen unter Führung von Häuptlingskönigen von Eänna her das Kayarsus-Gebirge und wurden unsere Ahnen. Ihr kennt ihre Namen, denn sie sind in der Chronik des Stoßzahns aufgezählt: Shelgal, Mamayma, Nomur, Inshull. Sie besiegten die wenigen verbliebenen Nichtmenschen. Eine halbe Ewigkeit lang war die Erinnerung an die Inchoroi und Min-Uroikas fast erloschen. Nur die Nichtmenschen von Injor-Niyas erinnerten sich an sie, wagten aber nicht, ihre Festungen in den Bergen zu verlassen.
Doch im Laufe der Jahre nahm die Feindschaft ab. Die restlichen Nichtmenschen und die Norsirai von Trysë und Sauglish schlossen Verträge miteinander. Wissen und Güter wurden getauscht, und die Menschen erfuhren erstmals von den Inchoroi und ihrem Krieg gegen die Nichtmenschen. Dann verriet zur Regierungszeit Nincaeru-Telessers ein Hexenmeister der Nichtmenschen namens Cet’ingira, den ihr aus den Sagas als Mekeritrig kennt, den Standort von Min-Uroikas an Shaeönanra, den Großwesir des alten gnostischen Ordens von Mangaecca. Der Bann, der auf der Festung lag, wurde gebrochen, und die Ordensleute der Mangaecca nahmen Min-Uroikas zu unser aller Kummer in Besitz.
Sie nannten es Anochirwa, doch ihre Gegner nannten es Golgotterath – ein Name, mit dem wir unseren Kindern noch immer Angst einjagen, obwohl wir es sind, die Angst haben sollten.«
Achamian hielt inne und blickte die Hohen Herren reihum an.
»Ich sage das, weil die Nichtmenschen zwar die Inchoroi, nicht aber Min-Uroikas vernichten konnten, denn es ist nicht von dieser Welt. Die Mangaecca plünderten die Festung und fanden vieles, was die Nichtmenschen übersehen hatten, auch furchtbare Waffen, die aber nie zum Einsatz kamen. Und wie der Bewohner eines Palasts sich allmählich für einen Prinzen hält, so sahen die Mangaecca sich bald als Nachfolger der Inchoroi, fanden an ihrem unmenschlichen Verhalten Gefallen und stürzten sich mit affenartiger Neugier auf ihre scheußliche Hexenkunst, die Tekne. Am wichtigsten und tragischsten aber war, dass sie Mog-Pharau entdeckten…«
»Den Nicht-Gott«, sagte Proyas leise.
Achamian nickte. »Den Nicht-Gott, der auch als Tsurumah, Mursiris, Weltbrecher und unter tausend anderen Namen bekannt ist… Die Mangaecca brauchten Jahrhunderte, doch vor gut zweitausend Jahren, als die Könige von Kyranae Tribut von ihnen forderten und vielleicht gerade diesen Saal erbauen ließen, gelang es ihnen, den Nicht-Gott zu wecken… Fast die ganze Welt versank vor seinem Ende in Blut und Schrecken.«
Achamian sah die Hohen Herren mit einem traurigen Lächeln an. »Die
Weitere Kostenlose Bücher