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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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darum ging, ob die Zerstörung der Zitadelle auf eine Katastrophe oder auf gar nichts hindeute. Saubon beantragte, der Heilige Krieg solle sofort seine Zelte abbrechen, die Pässe der Pforten von Southron überqueren und in Gedea einrücken. »Dieser Ort belastet uns nur!«, rief er und zeigte auf die Trümmer ringsum. »Wir leben hier im Schatten der Angst!« Er vertrat vehement die Ansicht, die Zerstörung Ruöms als Omen zu verstehen, gehe allein auf den Aberglauben der Nansur zurück und sei »typisch für parfümierte Weicheier«. Je länger der Heilige Krieg vor der zerstörten Zitadelle lagere, desto stärker werde dieser Aberglaube auf alle abfärben.
    Viele fanden diese Überlegungen sinnvoll, andere hielten sie dagegen für Irrsinn. Ikurei Conphas rief dem Prinzen von Galeoth ins Gedächtnis, dass der Heilige Krieg den Cishaurim ohne die Scharlachspitzen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war: »Die Kundschafter meines Onkels berichten, dass Skauras alle Granden von Shigek versammelt hat und uns in Gedea erwartet. Warum sollten die Cishaurim nicht mit ihm dort warten?« Dem pflichteten Proyas und sein Berater – der Scylvendi Cnaiür von Skiötha – bei und erklärten, ohne die Ainoni zu marschieren, sei blanker Unsinn. Doch kein Argument schien Saubon und seine Verbündeten umstimmen zu können.
    Die Sonne glühte schon über den Türmen im Westen, doch sie hatten sich nur auf das Nächstliegende verständigen können, zum Beispiel darauf, Reiter auszusenden, um die Ainoni ausfindig zu machen, und Athjeäri nach Gedea zu schicken, damit er dort Informationen sammle. Im Übrigen schien es sicher, dass der Heilige Krieg, der sich erst vor kurzem vereint hatte, erneut in seine Einzelteile zerfallen würde. Proyas war still geworden und vergrub sein Gesicht in den Händen. Nur Conphas diskutierte noch immer mit Saubon – wenn man den Austausch bitterer Beleidigungen so nennen konnte.
    Dann erhob sich Anasûrimbor Kellhus, der verarmte Prinz von Atrithau, von seinem Platz inmitten der Zuschauer und rief: »Ihr alle missversteht die Bedeutung dessen, was ihr seht! Die Zerstörung der Zitadelle ist weder Zufall noch böses Omen!«
    Saubon lachte und rief: »Aber Ruöm ist doch ein Talisman gegen die Heiden, oder etwa nicht?«
    »Ja«, sagte der Prinz von Atrithau. »Solange die Zitadelle stand, hätten wir umkehren können. Aber jetzt… Versteht ihr nicht? Gleich jenseits der Berge versammeln sich Menschen in den Gotteshäusern des Falschen Propheten. Wir stehen direkt am Gestade der Heiden!«
    Er hielt inne und sah von einem Hohen Herrn zum anderen.
    »Ohne Ruöm gibt es kein Zurück… Gott hat unsere Schiffe verbrannt.«
    Es wurde beschlossen, dass der Heilige Krieg auf die Ainoni und die Scharlachspitzen wartete.
     
     
    Weit von Asgilioch entfernt entspannte sich Eleäzaras, der Hochmeister der Scharlachspitzen, im innersten Raum seines großen Zelts. Sein Ruhesessel war der einzige Luxus, den er sich auf dieser verrückten Reise erlaubte. Seine Leibsklaven wuschen ihm die Füße in heißem Wasser. Drei Kohlenbecken erhellten die Dunkelheit ringsum. Rauch zog durchs Zelt und warf Schatten, die einer wasserfleckigen Handschrift ähnelten, auf die Leinwand.
    Die Reise war bisher nicht so anstrengend gewesen wie befürchtet. Dennoch empfand er an Abenden wie diesem stets ein fast schändliches Gefühl der Erleichterung. Erst hatte er gedacht, es hätte mit dem Alter zu tun – schließlich waren seit seiner letzten Auslandsreise zwanzig Jahre vergangen. Müde Knochen, dachte er, während er zusah, wie seine Leute sich im Abendlicht abmühten, Zelte und Pavillons aufzurichten, so weit das Auge reichte. Müde alte Knochen.
    Doch als er sich all der Jahre erinnerte, in denen er von Auftrag zu Auftrag, von Stadt zu Stadt gewandert war, wurde ihm plötzlich klar, dass er gar nicht an Müdigkeit litt. Er wusste noch, wie er ohne Zelt und seidene Kissen auf dem harten Boden am Feuer unterm Sternenhimmel gelegen und die dröhnende Erschöpfung gespürt hatte, die einen überkommt, wenn man nach einem anstrengenden Tag endlich Ruhe findet. Ja, das war Müdigkeit gewesen. Aber heutzutage, da er in einer Sänfte getragen wurde und von Dutzenden Sklaven umgeben war?
    Die Erleichterung, die er jeden Abend empfand, hatte nichts mit Ermüdung, sondern nur etwas mit Stillstand zu tun.
    Also mit Shimeh.
    Wichtige Entscheidungen, überlegte er, werden nach ihrer Unabänderlichkeit und ihren Folgen beurteilt. Manchmal

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