Der Prinz von Atrithau
geschminkte Gesicht seiner Mutter, das neben der Schulter des Mädchens verweilte – einer Schulter, die noch weißer war als die Porzellanhaut der Galeoth. Ja, sie loderte wieder in ihm, die alte, verbotene Erregung. Er war wieder ein Kind und frei von Sorgen. Alles war, wie es sein sollte. Die Götter waren ihm wirklich günstig.
»Sag mal, Xerius«, fragte seine Mutter heiser, »wie hast du Skeaös eigentlich überführt?«
3. Kapitel
ASGILIOCH
Der Satz »Ich bin der Mittelpunkt« versteht sich von selbst und ist Voraussetzung aller Gewissheit und allen Zweifels.
Ajencis: Dritte Analyse des Menschengeschlechts
Sorge dafür, dass deine Feinde zufrieden und deine Geliebten melancholisch sind.
Sprichwort der Ainoni
FESTUNG ASGILIOCH, FRÜHSOMMER 4111
Erstmals seit Menschengedenken erschütterte ein Erdbeben die Unaras-Berge und das Hochland von Inunara. Hunderte Meilen entfernt verstummte das Getriebe auf den großen Märkten von Gielgath, wo Waren stark schaukelten und Mörtel aus zitternden Mauern sprang, während Maultiere auskeilten und in panischer Angst die Augen verdrehten und Hunde jaulten.
In Asgilioch aber – seit unvordenklicher Zeit das südliche Bollwerk der Völker, die in den Ebenen von Kyranae lebten – landeten Menschen auf den Knien, während Mauern wie Palmwedel wankten und die alte Zitadelle von Ruöm, die die Könige von Shigek, die Drachen von Tsurumah und drei Heilige Kriege der Fanim überstanden hatte, einstürzte und eine riesige Staubwolke zum Himmel stieg. Beim Bergen der Leichen betrauerten die Überlebenden die Ruinen mehr als die Toten. »Das uneinnehmbare Ruöm ist geschleift!«, riefen sie ungläubig. »Der Bulle von Asgilioch ist gefallen!« Für viele Nansur war Ruöm ein Totem. Seit der Zeit von Ingusharotep IL, dem alten Gottkönig von Shigek, war die Zitadelle von Asgilioch nicht zerstört worden. Damals hatten die Völker des Südens die Bewohner der Ebenen von Kyranae das letzte Mal besiegt.
Die ersten Männer des Stoßzahns – ein Trupp schneller Reiter aus Galeoth unter Führung von Athjeäri, dem Neffen von Coithus Saubon – erreichten Asgilioch vier Tage nach dem Erdbeben. Zu ihrer Bestürzung fanden sie die Festung teilweise in Trümmern und die übel zugerichtete Garnison vom Scheitern des Heiligen Kriegs überzeugt. Nersei Proyas und die Leute aus Conriya kamen einen Tag später, zwei Tage darauf Ikurei Conphas und die kaiserlichen Truppen sowie die Tempelritter unter Incheiri Gotian. Während Proyas die Via Sogia entlang der Südküste genommen hatte und dann quer durchs Hochland von Inunara marschiert war, hatten Conphas und Gotian die so genannte Verbotene Straße gewählt, die die Nansur erbaut hatten, um den zügigen Aufmarsch ihrer Truppen zwischen den Grenzen der Fanim und der Scylvendi zu gewährleisten. Von den Hohen Herren, die mitten durch die Provinz marschierten, kamen Coithus Saubon und seine Galeoth als Erste an – fast eine Woche nach Conphas. Gothyelk und seine Tydonni trafen kurz danach ein, gefolgt von Skaiyelt und seinen erbarmungslosen Thunyeri.
Von den Ainoni war nur bekannt, dass ihre Armee von Anfang an – vielleicht beeinträchtigt durch ihre enorme Größe oder durch die Scharlachspitzen mit ihrem gewaltigen Tross – Mühe hatte, auch nur halb so schnell zu sein wie die anderen Heere. Also schlug der größere Teil des Heiligen Kriegs sein Lager auf den kargen Hängen unter den Wällen von Asgilioch auf, wartete und tauschte Gerüchte über bevorstehende Katastrophen aus. Für die Wachen auf den Mauern von Asgilioch sahen die Lagernden wie ein Volk von Nomaden aus.
Als klar wurde, dass es Tage, vielleicht Wochen dauern würde, ehe die Ainoni zu ihnen stießen, rief Nersei Proyas einen Rat der Hohen und Niederen Herren ein, der so groß war, dass er sich auf dem Platz vor der Zitadelle unterhalb der Trümmer von Ruöm versammeln musste. Die Hohen Herren nahmen an einem hufeisenförmig auf Böcken errichteten Tisch Platz, während die anderen Teilnehmer – gekleidet in ein Dutzend Landestrachten – sich auf die Schutthänge setzten und die Ruine zu einem Amphitheater werden ließen. Ihre Waffen schimmerten in der strahlenden Sonne.
Fast der gesamte Vormittag verging darüber, die Rituale einzuhalten und die vorgeschriebenen Opfergaben zu bringen. Es war der erste Großrat seit dem Abmarsch aus Momemn. Den Nachmittag verbrachten sie mit Diskussionen, bei denen es vor allem
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