Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
fort, »und nur ein Trog.«
    Esmenet schluckte, stand stocksteif da und schwieg.
    »Ich hab dich doch schon mal gesehen?«, fragte er. »Oder etwa nicht?« Er drohte ihr spaßhaft mit dem Finger.
    Esmenet atmete tief durch. »Nein, bestimmt nicht.«
    »Aber ja doch! Du bist eine Hure.« Er lächelte honigsüß. »Eine Nutte bist du.«
    Esmenet sah sich um. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«
    »Hexenmeister und Huren scheinen merkwürdig gut zueinander zu passen. Vermutlich, weil sie jede Menge Tricks beherrschen«, meinte er und grinste dreckig.
    Sie schlug ihn oder versuchte es doch. Irgendwie erwischte er ihre Hand.
    »Sarcellus«, flüsterte sie. »Sarcellus, bitte…«
    Sie spürte eine Fingerkuppe unendlich sanft die Innenseite ihres rechten Oberschenkels entlangstreichen.
    »Wie gesagt«, brummte er in einem vertrauten Ton, der sie erregte. »Nur ein Trog.«
    Als sie zum Feuer blickte, sah sie Achamian mit gerunzelter Stirn nach ihr Ausschau halten. Natürlich war für ihn alles rabenschwarz. Das Trügerische am Feuer war ja, dass es kleine Kreise erleuchtete, indem es die übrige Welt verdunkelte. Aber was Achamian sah oder nicht sah, spielte jetzt keine Rolle.
    »Nein, Sarcellus«, fauchte sie. »Nicht…«
    … nicht hier…
    »Nur über meine Leiche. Verstehst du?«
    Sie spürte seine Erregung.
    Nein, nein, nein, nein…
    Eine andere, vollere Stimme rief: »Gibt es ein Problem?« Esmenet wirbelte herum und sah Prinz Kellhus aus dem Dunkel des nahen Wäldchens treten.
    »Nein«, keuchte sie und war erstaunt, den Arm wieder frei bewegen zu können. »Herr Sarcellus hat mir nur einen Schreck eingejagt.«
    »Sie ist sehr schreckhaft«, sagte der Tempelritter. »Wie die meisten Frauen.«
    »Findet Ihr?«, erwiderte Kellhus und trat so nah an ihn heran, dass selbst Sarcellus aufsehen musste. Der Dûnyain musterte ihn sanft, fast ratlos, zugleich aber so unerbittlich und ausdauernd, dass Esmenets Herz zu rasen begann und sie am liebsten weggerannt wäre. Hatte er gelauscht? Hatte er alles mitbekommen?
    »Vielleicht habt Ihr Recht«, meinte Sarcellus lässig. »Auch die meisten Männer sind schreckhaft.«
    Dem folgte eine unbehagliche Stille. Es drängte Esmenet, sie zu füllen, doch ihr fehlte der Atem zum Sprechen.
    »Ich geh dann mal«, erklärte Sarcellus, verbeugte sich knapp und schlenderte zum Feuer zurück.
    Als sie mit Kellhus allein war, seufzte Esmenet erleichtert. Die Hände, die ihr Herz nur Momente zuvor fast erstickt hatten, waren verschwunden. Sie schaute zu Kellhus hoch und stellte fest, dass der Nagel des Himmels über seiner linken Schulter stand. Er wirkte wie eine Erscheinung aus Gold und Schatten. »Danke«, flüsterte sie.
    »Du hast ihn geliebt, nicht wahr?«
    Ihre Ohren brannten. Seine Frage zu verneinen, kam ihr nicht in den Sinn. Man belog Prinz Anasûrimbor Kellhus einfach nicht. Stattdessen sagte sie: »Bitte erzählt es Akka nicht.«
    Kellhus lächelte, obwohl seine Augen tieftraurig schienen. Er streckte die Hand aus, als wollte er ihre Wange streicheln, ließ sie dann aber fallen.
    »Komm«, sagte er. »Es ist schon tiefe Nacht.«
     
     
    Wie frisch Verliebte hielten Esmenet und Achamian sich an den Händen, als sie zwischen Sträuchern und Gräsern eine Schlafstätte suchten. Sie fanden eine flache Stelle am Rand des Wäldchens, nicht weit von der Klippe. Dort rollten sie ihre Matten aus, legten sich hin und stöhnten und schnauften dabei wie ein altes Ehepaar. Der nächststehende Eisenbaum war vor Jahren abgestorben und ragte alabastergleich über ihnen in den Himmel. Durch ebenmäßig sich verzweigende Äste hindurch betrachtete Esmenet die Sterne. Der Gedanke an Sarcellus und an Achamians bedrohliche Worte bedrückte sie.
    Vor dem Ende der Welt kann man sich nicht verstecken!
    Wie hatte sie so dumm sein können, sich als Hure mit ihm auf eine Stufe zu stellen? Er war ein Ordensmann der Mandati. Nacht für Nacht verlor er geliebte Menschen, die bedeutender waren, als sie es sich je vorstellen konnte, und an deren Rang sie nie und nimmer heranreichen würde. Sie hatte seine Schreie gehört und sein fiebriges Murmeln in unbekannten Sprachen. Sie hatte gesehen, wie sehr ihn die Halluzinationen längst vergangener Ereignisse in Beschlag nahmen.
    Sie kannte das! Wie oft hatte sie seinen angstverschwitzten Leib in der feuchten Dunkelheit festgehalten!
    Sicher, Achamian liebte sie – doch Seswatha liebte die Toten.
    »Hab ich dir je erzählt«, fragte sie, um diese Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher