Der Prinz von Atrithau
schließlich. »Immerhin habt Ihr in Atrithau vom Heiligen Krieg geträumt.«
Kellhus richtete seine hochsensiblen Sinne auf Saubon und analysierte seinen Herzschlag, den Reflex seines Errötens, die Orbitalmuskeln seiner Augen… Er hat Angst vor mir.
»Warum fragt Ihr?«
»Weil Proyas ein Sturkopf ist. Weil die, die als Erste an der Tafel sitzen, auch als Erste speisen!«
Der Prinz von Galeoth war kühn und ungeduldig. Obwohl er Feinsinn schätzte, war er letztlich mehr fürs Grobe.
»Ihr möchtet sofort marschieren«, stellte Kellhus fest.
Saubon verzog das Gesicht. »Ich wäre jetzt in Gedea«, stieß er hervor, »wenn Ihr nicht gewesen wärt!«
Diese Bemerkung bezog sich auf die letzte Beratung, bei der Kellhus’ Neuinterpretation der Zerstörung von Ruöm seinen Argumenten das Fundament entzogen hatte. Doch der Dûnyain merkte, dass Saubons Groll unaufrichtig war: Mochte er auch unbarmherzig und geldgierig sein – engstirnig war er nicht.
»Warum kommt Ihr dann jetzt zu mir?«
»Weil Eure Behauptung, Gott habe unsere Schiffe verbrannt… na ja, weil sie sehr plausibel klang.«
Kellhus begriff, dass sein Gegenüber ein Beobachter war, der andere fortwährend beurteilte. Sein Leben lang hatte Saubon sich für einen gewitzten Charakterkenner gehalten und war stolz auf seine Ehrlichkeit und die Fähigkeit gewesen, Schmeicheleien zu bestrafen und Kritik zu belohnen. Doch bei Kellhus fehlte ihm das Instrumentarium, ihn einzuschätzen. Er redet sich ein, ich sei eine Art Seher. Aber er fürchtet, dass ich mehr bin…
»Ihr sucht also die Wahrheit? Wirklich?«
Trotz seiner Geldgier besaß Saubon eine Art praktische Frömmigkeit. Für ihn war Glaube ein Spiel, ein sehr ernstes Spiel. Während andere bettelten und ihr Betteln Gebet nannten, verhandelte, ja feilschte er. Er dachte, durch diesen Besuch erweise er den Göttern seine Schuldigkeit.
Er hat furchtbare Angst, einen Fehler zu machen. Das Schicksal hat ihm nur eine Chance gegeben.
»Ich muss wissen, was Ihr seht!«, rief Saubon nun. »Ich habe viele Feldzüge unternommen, allesamt für meinen elenden Vater! Ich bin kein Narr, wenn es um Krieg geht. Ich glaube nicht, dass ich in eine Falle der Fanim marschiere…«
»Erinnert Euch doch, was Cnaiür bei der Beratung gesagt hat«, unterbrach ihn Kellhus. »Die Fanim kämpfen zu Pferde. Sie bringen die Falle zu Euch. Und denkt an die Cishaurim…«
»Pah! Mein Neffe kundschaftet gerade Gedea aus und schickt mir täglich Botschaften. Im Schatten dieser Berge lauert keine Armee der Fanim. Die Kämpfer, die Proyas jagt, sollen uns nur irritieren und aufhalten, während die Heiden ihre Truppen sammeln. Skauras ist gerissen und weiß genau, wann er kein ebenbürtiger Gegner ist. Er hat sich nach Shigek zurückgezogen und sich in den Städten am Sempis verbarrikadiert, wo er den Padirajah und die Granden von Kian erwartet. Gedea hat er denen überlassen, die den Mut haben, es an sich zu reißen!«
Der Prinz von Galeoth glaubte offenbar, was er sagte, aber konnte man ihm glauben? Seine Überlegungen schienen durchaus plausibel. Und sogar Proyas zollte dem soldatischen Scharfsinn dieses Mannes größten Respekt. Vor einigen Jahren hatte Saubon sogar einen Angriff von Ikurei Conphas abgewehrt.
Möglichkeiten über Möglichkeiten! Hier schien sich eine Chance zu bieten… Vielleicht musste man gegen Sarcellus gar nicht antreten, um ihn zu zerstören. Und dennoch…
Ich weiß so wenig vom Krieg. Zu wenig.
»Das hofft Ihr«, sagte Kellhus. »Skauras könnte doch…«
»Das hoffe ich nicht! Das weiß ich!«
»Dann ist es doch gleich, ob ich Euch meine Zustimmung gebe. Wahrheit ist Wahrheit – egal, wer sie sagt.«
Saubon wirkte verzweifelt. »Ich frage Euch nur um Rat. Danach, was Ihr seht.«
Seine Augenpartie wirkte schlaff, er war kurzatmig, und seine Stimme klang gedämpft. Schon wieder eine Lüge.
»Aber ich habe viele Visionen«, sagte Kellhus.
»Dann erzählt sie mir!«
Der Dûnyain schüttelte den Kopf. »Nur selten erhasche ich einen Blick auf die Zukunft. Die Herzen der Menschen sind es, die mich…« Er hielt inne und blickte nervös in den Abgrund, an dessen Fuß bleiche, zersplitterte Baumskelette lagen. »Sie sind es, für die ich mich interessiere.«
Saubon war vorsichtig geworden. »Dann erzählt mir doch, was Ihr in meinem Herzen seht.«
Stell ihn bloß. Nimm ihm jede Lüge, jeden Vorwand. Wenn die Scham vergeht…
Kellhus blickte dem Mann einen trostlosen Moment lang in die
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