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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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seine ungewöhnliche Ehrlichkeit und Einsicht zugute.
    Kellhus war darin ganz ähnlich, oder?
    »Also?«, fragte Proyas. »Was mag hier geschehen sein?« Er war mühsam wieder aufgesessen.
    »Schwer zu sagen«, antwortete Cnaiür und ließ den Blick einmal mehr über die Toten schweifen.
    »Pah«, rief Gaidekki. »Sodhoras war kein Narr. Er war sicher zahlenmäßig unterlegen.«
    Cnaiür war anderer Ansicht. Statt aber mit Gaidekki zu streiten, riss er sein Pferd herum und galoppierte hinauf zum Hügelkamm. Der Boden war sandig, das Gras flach gewurzelt. Sein Tier – ein geschmeidiger Rappe aus Conriya – kam mehrmals aus dem Tritt, ehe es den Hügelrücken erreichte. Dort legte Cnaiür eine Pause ein und lehnte sich im Sattel zurück, um einen wandernden Schmerz im Rücken zu lindern. Vor ihm fiel der Boden allmählich ab und gab dem ganzen Kamm das Aussehen eines gigantischen Schulterblatts. Gleich im Norden verloren sich die kahlen Höhen der Unaras-Berge im Dunst.
    Der Häuptling folgte dem Kamm ein kurzes Stück, inspizierte den abgewetzten Boden und zählte die Toten. Es waren weitere siebzehn Männer, ausgeplündert wie die anderen. Ihre Arme waren verdreht, und um ihre Münder wimmelten die Fliegen. Der Wind wehte ab und an Fetzen eines Streits zwischen Proyas und seinen Pfalzgrafen herauf.
    Proyas war kein Narr, doch seine Leidenschaft machte ihn ungeduldig. Obwohl er Cnaiürs Schilderungen über die Mittel und Methoden der Kianene stundenlang gelauscht hatte, hatte er noch immer kein klares Bild von den Feinden. Seine Landsleute allerdings hatten gar keine Vorstellung. Und wenn Männer, die wenig Ahnung hatten, mit komplett ahnungslosen Männern diskutierten, war Streit so gut wie vorprogrammiert.
    Seit den ersten Tagen des Marsches hatte Cnaiür ernste Zweifel am Heiligen Krieg und seinen ungehobelten Heerführern gehabt. Bisher war fast alles, was er im Rat vorgeschlagen hatte, entweder kurz und bündig abgelehnt oder ungeniert verspottet worden. Diese quasselnden Dummköpfe!
    In vielerlei Hinsicht war das Heer des Heiligen Kriegs das genaue Gegenteil einer Rotte von Scylvendi. Die Scylvendi duldeten kaum Begleitung – wenn überhaupt. Verhätschelnde Sklaven, Priester oder Auguren waren bei ihnen undenkbar. Und Frauen erst recht, die man immer haben konnte, wenn man Feindesland durchkämmte. Selbst auf die längsten Feldzüge nahmen die Scylvendi nur wenig mehr Gepäck mit, als ein Krieger und sein Pferd tragen konnten. Wenn ihr Amicut aufgegessen war und sie sich keine Nahrung beschaffen konnten, zapften sie entweder die Adern ihrer Pferde an oder ritten hungrig weiter. Zwar waren ihre Pferde klein, unschön und recht langsam, doch sie waren für die Steppe gezüchtet, nicht für den Stall. Das Pferd, das er jetzt ritt – ein Geschenk von Proyas –, verlangte neben dem gewöhnlichen Futter nicht nur exquisites Getreide, sondern fraß davon auch noch so viel, dass man drei Männer damit hätte ernähren können!
    Wahnsinn.
    Das Einzige, wogegen Cnaiür keine Einwände erhoben hatte, war zum Streitpunkt schlechthin geworden: dass sich der Heilige Krieg in separate Truppen aufgelöst hatte. Was war nur mit den Inrithi los? Beschliefen Brüder ihre Schwestern? Schlugen sie ihren Kindern auf den Kopf? Je größer das Heer, desto langsamer der Vormarsch. Je langsamer der Vormarsch, desto höher der Nahrungsmittelverbrauch. So einfach war das! Das Problem bestand nicht darin, dass sich der Heilige Krieg geteilt hatte. Er hatte einfach keine Wahl: Allen Berichten zufolge war Gedea ein karges, landwirtschaftlich kaum bebautes und schwach bevölkertes Land. Das Problem lag darin, dass die Teilung des Heers ungeplant geschehen war, dass vorab keine Informationen darüber eingeholt worden waren, was sie erwartete, und dass die Marschrouten weder abgestimmt noch sichere Kommunikationswege vereinbart worden waren.
    Doch wie konnte er ihnen das begreiflich machen? Und begreifen mussten sie es, denn davon hing der Fortgang des Heiligen Krieges ab. Alles hing davon ab!
    Cnaiür spuckte in den Staub, hörte sich ihre Streiterei an und sah ihnen beim Gestikulieren zu.
    Der Tod von Anasûrimbor Moënghus war das Einzige, was zählte. Er war das Lot, nach dem sich alles auszurichten hatte.
    Er rechtfertigt jede Erniedrigung. Alles!
    »Ingiaban!«, rief Cnaiür vom Hügel herab. Die Männer waren so erschrocken, dass sofort Stille herrschte. »Reite zurück zum Heer und hol mindestens hundert deiner Männer. Die Fanim

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