Der Prinzessinnenmörder
mir«, sagte er und schien selbst nicht so recht überzeugt zu sein.
»Vielleicht bin ich zu sehr Polizist. Oder zu sehr Katholik. Aber woher weiß ich, dass ich aufrichtig bereut habe?«
»Woher wissen Sie es als Katholik?«
»Muss ich nicht wissen. Der Priester vergibt mir, ich spul meine Rosenkränze runter und fertig. Gut – wenn man sehr viel Pech hat, gerät man an einen falschen Priester. Da nützt dann die ganze Bußfertigkeit nichts. Aber sonst – weiß auch nicht. Ich finde das bei uns irgendwie klarer.«
»Soll ich Ihnen was verraten? Ich auch. Ich glaube, die evangelische Beichte überfordert den Menschen. Oder zumindest erleichtert sie ihn nicht. Wenn man einem anderen Menschen seine Sünden erzählen muss – das ist fast so, als würde man sie ihm in die Hand drücken und weggeben. Stell ich mir zumindest vor.«
Er sah Wallner, der unversehens zum Experten in geistlichen Fragen aufgerückt war, interessiert an.
»Ja schon. Man fühlt sich besser danach. Also soweit ich mich erinnern kann. Ist zugegebenermaßen schon eine Weile her. Beim letzten Mal war ich zwölf.«
Melanie kam wieder vorbei. Der Sakko-Mann bestellte noch einen Wein und Wallner noch ein Bier.
»Wieso wollte der Mann dann bei Ihnen beichten?«
»Er war katholisch. Aber er mochte den Priester seiner Gemeinde nicht.«
»Was haben Sie ihm gesagt?«
»Ich hab ihm gesagt, ich kann ihm gern die Ohrenbeichte abnehmen, wenn’s ihm nichts ausmacht, dass ich kein katholischer Pfarrer bin. Aber Bußen könnte ich ihm nicht auferlegen. Und mit der Absolution – na ja, ego te absolvo, das krieg ich noch hin. Ob’s denn auch was nützt, das müsse er selber wissen. Aber letztlich ging’s ihm nicht um Vergebung.«
»Sondern?«
»Er hat während dieser sogenannten Beichte die ganze Zeit Gott beschimpft. Also eigentlich mich, in Stellvertretung. Und ich musste mich rechtfertigen, warum ich ihm seine Tochter genommen hatte. Es war der Alptraum seines Lebens.«
»Er hatte wahrscheinlich Schuldgefühle.«
»Ja. Er war mit seiner Tochter auf eine Skitour gegangen. Obwohl er seiner Frau versprochen hatte, es nicht zu tun.«
»Und dann kommt er mit dem toten Mädchen nach Hause?«
»Ja.«
»Scheiße.« Wallner besann sich, wer vor ihm saß. »Entschuldigung.«
»Schon okay. Wie wollen Sie’s anders nennen?«
Beide schwiegen eine Weile.
»Was ist passiert? Sind sie in eine Lawine geraten?«
»Nein. Das Mädchen ist abgestürzt.« Der Mann im Sakko dachte nach. »Jetzt, wo Sie’s sagen – er hat nie genau erzählt, was eigentlich passiert ist.«
»Hat es Ihnen nichts ausgemacht, dass er Sie beschimpft hat?«
»Ich hab ihn gewähren lassen. Das war alles, was ihn noch aufrecht hielt. Dass er jemanden hatte, dem er die Schuld geben konnte.«
»Was ist aus dem Mann geworden?«
»Ach – das ist eine eigene Geschichte. Vielleicht ein andermal.«
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11 . Kapitel
W allner parkte den Wagen auf der Straße vor dem Haus. Es werde in der Nacht regnen, meldete der Wetterbericht. Schnee wurde erst für die frühen Morgenstunden erwartet.
Wallner lebte im Haus seines Großvaters Manfred. Der hatte das Haus Anfang der fünfziger Jahre mit eigenen Händen gebaut. Darauf war er stolz, auch wenn Wallner die eine oder andere Unzulänglichkeit bemängelte, die seiner Ansicht nach nur einem Amateur unterlaufen konnte. So hatten die Türstöcke Maße, wie man sie ansonsten nur in Kleinwüchsigensiedlungen fand: einen Meter fünfundsiebzig. Manfred erklärte diese Besonderheit damit, dass es dem Menschen gut anstehe, ab und an das Haupt zu beugen, um nicht hochmütig zu werden. Da Manfred mit seinen achtundsiebzig Jahren nur noch einen Meter zweiundsechzig groß war, konnte er selbst allerdings erhobenen Hauptes durch sein Haus gehen. Wallner hingegen, seit seinem fünfzehnten Lebensjahr jenseits der Einsachtzig, hatte sich in Momenten der Unachtsamkeit schon Beulen zugezogen und auf dem Höhepunkt eines Besäufnisses anlässlich seines achtzehnten Geburtstags eine Gehirnerschütterung.
Der Ortsteil von Miesbach, in dem Wallner wohnte, war geprägt von kleinbürgerlichen Häuschen, wie sie bis in die sechziger Jahre hinein gebaut wurden. Einige davon besaßen noch Eternitfassaden, die in den siebziger Jahren wieder aus der Mode gekommen waren. Zugestandenermaßen hielten die Fassaden immer noch und machten dem Namen des Materials, aus dem sie gefertigt waren, alle Ehre.
Wallner wurde 1969 geboren. Zwei Jahre später ertrank seine
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