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Der Prinzessinnenmörder

Der Prinzessinnenmörder

Titel: Der Prinzessinnenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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Mutter im Tegernsee, als sie von einem Segelboot am Kopf gerammt wurde und ohnmächtig in die dunkelgrüne Tiefe sank. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Wallners Vater gab den Jungen in die Obhut der Großeltern. Eines Tages im Jahr 1977 verkündete Wallners Vater, er gehe für einige Monate auf Montage nach Venezuela. Er schrieb zwei Ansichtskarten. Eine aus Caracas, die andere aus Antigua. Danach schrieb er nie wieder. Und er kehrte auch nicht nach Miesbach zurück. Erst als Wallner in die Pubertät kam und seine Gefühle auf andere Dinge gelenkt wurden, hörte er auf, mehrmals am Tag aus dem Fenster seines Kinderzimmers zu sehen, in der Hoffnung, sein Vater würde zufällig in diesem Moment nach Hause kommen. Zehn Jahre nach dem Verschwinden des Vaters berichtete ein Weltenbummler aus Weyarn, er habe am Orinoco einen Mann getroffen, der komme aus Miesbach und habe sich vor acht Jahren im venezolanischen Urwald niedergelassen. Der Mann führe Touristen durch den Dschungel und habe eine Einheimische mit schwarzen Haaren und dem Namen Milagros geheiratet. Und wenn er, der Weltenbummler, an die schwarzhaarige Milagros zurückdenke, dann wundere er sich nicht, dass der Mann sich daheim nicht mehr blicken lasse. Nach dem Abitur unternahm Wallner eine mehrmonatige Reise, die ihn nicht ganz zufällig nach Südamerika führte. Er suchte den Mann, der die schwarzhaarige Milagros geheiratet hatte. Tatsächlich fand er ihn in einem heißen, moskitoverseuchten Städtchen am oberen Orinoco, unweit der Grenze zu Kolumbien. Wallner hatte seinen Vater dreizehn Jahre nicht gesehen. Das letzte Mal war Wallner sieben gewesen. Der Mann am Orinoco war grauhaarig und hatte einen Vollbart und gar keine Ähnlichkeit mit Wallners Vater. Aber er freute sich, einen aus der Heimat zu treffen. Indes war er nicht aus Miesbach, sondern aus Reichenhall. Und er lebte schon seit zwanzig Jahren in Südamerika. Milagros war immer noch schwarzhaarig, hatte mittlerweile aber drei Kinder und vierzig Kilo zugenommen. Der grauhaarige Mann der schwarzhaarigen Milagros sagte, das Leben in Venezuela sei leicht und die Menschen freundlich. Doch langweile er sich zu Tode und habe Sehnsucht nach einem bayerischen Wirtshaus und einer Wanderung im Schnee. Vor zwei Jahren sei er wieder mal in Reichenhall gewesen. Da habe es zwei Wochen nur geregnet. Jetzt sei er hin und her gerissen. Lange habe er nachgedacht und das Für und Wider von Heimat und Fremde abgewogen. Wenn er ehrlich sei, ziehe er es vor, in angenehmem Klima und unter freundlichen Menschen an Langeweile zu sterben.
    Wallner hatte die Suche nach seinem Vater aufgegeben. Sein Vater interessierte ihn nicht mehr. Nur das Gefühl, dass etwas Wichtiges in seinem Leben unaufgeräumt war, ließ ihn in stillen Minuten an Venezuela denken.
     
    Das Gartentor war zu. Das war ungewöhnlich. Das Gartentor war nie zu. Manfred neigte nervenbedingt zum Zittern und hatte schon Schwierigkeiten, den Schlüsselbund aus dem Hosensack zu ziehen. Nicht zu reden davon, den Schlüssel in den engen Schlitz eines Trommelschlosses einzuführen. Es reichte Manfred, wenn ihm dieses Kunststück an der Haustür abverlangt wurde – die deswegen immer noch ein altmodisches Schloss mit großem Loch hatte. Das Gartentor blieb immer angelehnt, so dass man es bei flüchtigem Hinsehen für geschlossen halten musste, es sich aber ohne Schlüssel aufdrücken ließ. Vielleicht hatte Manfred Besuch gehabt. Aber wer immer ins Haus kam, dem wurde beim Hinausgehen eingeschärft, das Gartentor nicht zuzuziehen, sondern nur anzulehnen. Es war unwahrscheinlich, dass ein Besucher Manfreds Ermahnung vergessen hatte. Denn Manfred untermalte seine Bitte mit ausführlichen Schilderungen seines Zitterleidens und der Geschichte, wie ihn einmal beim Leichenschmaus für einen Schulkameraden genau in dem Augenblick das Zittern ankam, als auf das Andenken des Verstorbenen angestoßen wurde. Fünf Weißbiergläser seien dabei zertrümmert worden, und den schwarzen Anzug habe er sich so eingesaut, dass der nach zwanzig Jahren das erste Mal in die Reinigung musste.
    Der Regen hatte aufgehört. Dennoch tropfte unaufhörlich von überall Wasser herunter. Tauwasser. Wallner ging über den glitschigen, halb aufgetauten Boden zur Haustür und blickte zu den Fenstern hoch. Alles war dunkel. Etwas Schwarzes flatterte am Dach. Wallner schloss die Haustür auf. Erneut hörte er ein Flügelschlagen. Er blickte nach oben. Regen fiel ihm ins Gesicht. Es war viel Geflatter in

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