Der Prinzessinnenmörder
musst wieder fünfmal raus heut Nacht.«
»Kann eh net schlafen. Wo treibst’n dich rum, ha?« Manfred führte die Flasche mit beiden Händen zum Mund und nahm einen Schluck. Dann setzte er die Flasche vorsichtig auf der Küchenplatte ab und wischte sich den Mund ab. »Hast was am Laufen?« Neugier blitzte aus Manfreds Augen. Wallner überlegte, ob er überhaupt auf die Frage eingehen sollte. Er entschied, es sei das Beste, eine Erklärung abzugeben, anstatt sich gegen die feixende Unterstellung zu wehren, er wolle seinem Großvater mal wieder nichts von seinen Weibergeschichten erzählen.
»Hab noch eine Zeugin befragt.«
»Wegen dem toten Mädel?«
»Ja.«
»Furchtbare G’schicht. Furchtbar.« Pause. »A Zeugin, soso.« Manfred nickte wie einer, der mehr ahnte, als anzusprechen schicklich wäre.
Wallner sah zum Fenster hinaus und nahm einen Schluck Bier. Vor dem Fenster auf dem wasserglitschigen Eis lag etwas. Etwas, das vorher noch nicht da gelegen hatte. Schwer zu sagen, was es war. Es war dunkel im Hof. Ein Lastwagen näherte sich und bog in die Straße ein, die am Haus vorbeiführte. Ein unten abgeschnittener Lichtkegel wischte über den Hof und wurde von einem Teil der Aluminiumleiter reflektiert. Für einen Moment leuchtete das Ding auf dem Boden auf. Es war golden und so groß wie eine Postkarte. Allerdings von unregelmäßiger Form. Dann verschwand es wieder in der Nacht.
»Nimm’s nur g’scheit her, deine Zeugin.« Manfred zwinkerte Wallner verschwörerisch zu. »Ich, wie ich so alt war wie du – ich hab’s fei krachen lassen. Haha! Mein lieber Herr Gesangsverein.«
»Ah ja? Was hat die Oma dazu g’sagt?«
»Geh, Schmarrn, ich mein ja, wie ich noch nicht verheiratet war. Musst mir net immer ’s Wort im Mund umdrehen. Tät dir auch net schaden, wennst a bissl mehr auf d’ Jagd gehen tätst. Hasen-Jagd. Verstehst?«
»Ich komm schon klar. Mach dir keine Sorgen.«
»Des is auch besser für die Hormone, wennst verstehst, was ich mein. Das hebt die Laune. Öfter mal einen wegstecken.« Manfred hob keckernd seine Bügelverschlussflasche und prostete Wallner zu. »Oder? Hab ich recht oder wie, ha?«
Wallner nahm einen sehr kräftigen Zug. Er klammerte sich an die Hoffnung, dass Manfred am Fuße seiner Flasche ins Bett gehen würde.
»Deswegen war ma doch so gut drauf. Nix hamma g’habt nach’m Krieg. Grad’s Hemd aufm Leib. Aber immer gut drauf. Wegen die Hormone. Verstehst, was ich mein?«
»Ich glaube, ich ahne, was du meinst. Wie war dein Tag?«
»Ach hör mir auf. Dieses Sauwetter. Ich hab versucht, dass ich zum Einkaufen geh. Kaum, dass ich aus der Tür bin, hat’s mich auch schon g’waffelt. Da schau.« Manfred schlug seinen weißen Bademantel zurück. Darunter kam ein mit grün-orangenen Blumen besprenkelter Frotteepyjama aus den siebziger Jahren zum Vorschein, mit enganliegenden Hosen um die dürren Beine. Das Oberteil war tief in die Hose gesteckt. Manfred zog es seitlich aus der Hose, dann schob er die Frotteehose bis auf halbe Schenkelhöhe nach unten. Es kam ein blauer Fleck zum Vorschein, der Form und Größe einer halben Pizza hatte. Soweit man das in der Dunkelheit erkennen konnte.
»Mein lieber Scholli. Tut’s arg weh?«
»Kannst aber laut sagen.« Zum Beweis tippte Manfred mit zwei Fingern auf den blauen Fleck und verzog das Gesicht.
»Wer war denn heute da?«
»Wegen der Antenne war einer da.«
»Der hat die Leiter genommen?«
»Ja freilich. Der hat ja aufs Dach müssen.«
»Hattest du den bestellt?«
Manfred sah Wallner irritiert an.
»Na. Ich hab denkt, du hättst’n bestellt.«
Wallner wurde stutzig. Wieso kam jemand für die Antenne, den keiner bestellt hatte? Es gab auch keine Probleme mit der Antenne. Weder mit der terrestrischen noch mit der Satellitenschüssel. Aber vielleicht hatte Manfred ja …
»Du bist sicher, dass der wegen der Antenne da war?«
»Ich hab doch koan Alzheimer. Für was geht’n sonst einer aufs Dach, wenn’s koa Kaminkehrer net is?«
Diese Frage ging auch Wallner durch den Sinn.
Als Wallner aus der Haustür trat, regnete es immer noch. Es war kälter geworden. Bald würde der Regen in Schnee übergehen. Wallner achtete auf seine Schritte, als er zum Schuppen ging. Es war glatter denn je. Er zog die Leiter auseinander und lehnte sie an die Dachrinne. Wenn man ein paar Schritte vom Haus wegging, konnte man erkennen, dass etwas auf dem Dach war. Ganz oben am First. Was immer es war, es bot den Anlass für den Tumult,
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