Der Prinzessinnenmörder
mit der schwarzen Kappe. Er beugte sich nach vorne. Das Schließfach befand sich in einer der unteren Reihen. Plötzlich drehte er den Kopf zur Seite und nach hinten, als ob er sich vergewissern müsse, dass ihn niemand beobachtete. Wallner wandte sich sofort ab. Es war immerhin möglich, dass der Mann ihn kannte. Und er würde in wenigen Augenblicken das Postfach wieder schließen und an Wallner vorbeikommen. Wallner trat vom Posteingang weg und wartete hinter einem Lieferwagen verborgen auf den Mann mit der schwarzen Kappe. Eine halbe Minute später erschien er in der Eingangstür. Auch hier ein gehetzter, prüfender Blick in die Umgebung. Dann verließ er das Gebäude, ging die Straße hinunter und verschwand um eine Ecke. Wallner folgte ihm. Als er an die Ecke kam, konnte er noch sehen, wie der Mann in der Seitenstraße einen blauen Toyota Corolla bestieg. Wallner rannte zu seinem eigenen Wagen zurück und nahm die Verfolgung auf. Als er in die Seitenstraße einbog, war der Wagen bereits weg. Aufs Geratewohl fuhr Wallner an der nächsten Ampel nach rechts – und hatte Glück. Der Wagen des Verdächtigen war vor ihm.
Wallner rief Tina an und sagte, er verfolge einen Verdächtigen, der vermutlich das angegebene Postfach geleert habe. Der Mann sei recht beweglich und lebe sicher nicht im Pflegeheim. Tina wollte das Kennzeichen des verfolgten Wagens wissen. Wallner konnte es nicht erkennen. Er musste einigen Abstand halten, und die Wintersonne blendete ihn. Der Wagen fuhr aus Hausham hinaus in Richtung Tegernseer Tal. Auf einem schattigen Straßenstück konnte Wallner das Nummernschild lesen. Er gab Tina die Daten durch. Kurz darauf rief Tina wieder an. Der Wagen sei auf einen Joseph Kohlweit aus Bad Wiessee zugelassen. Der Mann sei ein Neffe des Postfachinhabers Blandl. Der Name Kohlweit kam Wallner bekannt vor. Aber er konnte ihn im Augenblick nicht zuordnen.
Tina hatte noch mehr Neuigkeiten. Ein Joseph Kohlweit hatte letztes Wochenende eine Hütte in der Nähe des Spitzingsees gemietet. In Seeglas, wo die Haushamer Straße in die Ringstraße um den Tegernsee mündet, bog Kohlweit rechts nach Gmund ab. Das deutete darauf hin, dass er nach Bad Wiessee wollte. Wallner teilte Tina das mit. Tina sagte, sie werde einen Streifenwagen zu Kohlweits Wohnung schicken.
In diesem Moment fiel Wallner auch ein, wo er schon einmal auf den Namen Kohlweit gestoßen war: Joseph Kohlweit war Pia Eltwangers Vertrauenslehrer am Gymnasium Tegernsee. Wallner bemühte sich, den unansehnlichen Mann mit dem gepflegten Akzent vor sein geistiges Auge zu rufen. Kohlweit hatte bei dem Gespräch unruhig gewirkt. Das hatte Wallner zwar bemerkt, es aber der besonderen emotionalen Belastung nach dem Mord an Pia Eltwanger zugeschrieben. Sollte Kohlweits Unruhe einen ganz anderen Grund gehabt haben? Wallner bat Tina zu prüfen, ob es wirklich derselbe Kohlweit war. Falls ja, solle sie ein paar Erkundigungen einziehen. Vor allem solle sie im Gymnasium fragen, wann genau Kohlweit die letzten Tage in der Schule war. An der Kreuzung im Zentrum von Gmund fuhr Kohlweit nach links in Richtung Bad Wiessee. Er fuhr also vermutlich zu sich nach Hause. Tina sagte, es befinde sich gerade ein Streifenwagen in Wiessee. Die schlechte Nachricht: In dem Streifenwagen saß Kreuthner.
Kreuthner fuhr zunächst an der angegebenen Adresse in der Freihausstraße vorbei und machte sich ein Bild von den Örtlichkeiten. Parkmöglichkeiten gab es nur wenige. An den Straßenrändern lagen überall Schneehaufen. Das Haus war in den sechziger Jahren in einem nüchtern-alpenländischen Stil gebaut worden und hatte zwei Stockwerke mit insgesamt sechs Parteien. Um das Haus herum war Wiese, die jetzt unter einem halben Meter Schnee lag. Sollte der Verdächtige zu fliehen versuchen, würde er nur langsam vorwärtskommen. Sollte er es trotzdem bis zu seinem Wagen schaffen, wäre ein Entkommen nicht möglich. Denn die Fahrbahn war schneebedeckt und glatt. Der Mann hatte keine Chance. Kreuthner war mit der Besichtigung zufrieden. Er lenkte den Streifenwagen in die nächste Querstraße und hielt an. Neben Kreuthner saß ein junger Polizist, den sie Beni nannten, mit vollständigem Namen Benedikt Schartauer. Schartauer war sehr jung und noch in Ausbildung. Kreuthner sah Schartauer prüfend an.
»Jetzt erlebst amal an Zugriff. Hast schon mal an Zugriff g’macht?«
Beni schüttelte den Kopf.
»Bist nervös? Is koa Schand net. Beim ersten Mal samma alle nervös
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