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Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde

Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde

Titel: Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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ein Stück ab, das die richtige Länge und Dicke für eine Weidenflöte hat. Vorsichtig schlägt er mit dem roten Griff seines Mora-Messers auf die Rinde. Dann knetet er sie mit den Daumen durch, um sie geschmeidig zu machen, bevor er sie vorsichtig abzieht. Dann schneidet er eine Kerbe in das weiße Holz und schiebt die Rindenhülse vorsichtig wieder darüber. Dann begradigt er alles noch mit dem Messer und gibt mir anschließend die fertige Flöte. Ich sehe Papa fragend an, und dieser nickt.
    »Blas rein«, sagt er. »Wer weiß, vielleicht lockst du damit ja den großen Elchbullen höchstpersönlich an.«
    Ich probiere meine neue Weidenflöte aus, obwohl man eigentlich mucksmäuschenstill sein soll, wenn man sich auf dem Ansitz befindet. Laut Onkel Nisse, einem der vielen großen Jäger der Familie, darf man sich nicht einmal die laufende Nase abwischen, wenn es richtig ernst wird. Zahlreiche gute Schussmöglichkeiten seien so schon verloren gegangen. Einen großen Elchbullen sehen wir an diesem Tag allerdings nicht. Woran ich mich stattdessen erinnere, das sind Papas Hände, die eine ganz normale Weidenrute in eine Flöte verwandeln, in die ich hineinblasen kann.
    Mein Papa hatte diese Fähigkeit, die ältere Leute aus der Oberschicht – wenn sie etwas Freundliches über jemanden weiter unten sagen wollten – als Genie der Hände bezeichneten. Mit Hilfe einer Axt und eines Mora-Messers konnte Papa freihändig das meiste herstellen, das man aus Holz anfertigen kann.
    Außerdem konnte er Stromkabel verlegen, Abflüsse reinigen, Dächer mit Wellblech decken und Beete einfassen, und hätte man ihm nur die Möglichkeit gegeben und die Zeit, sich vorher die Hände zu waschen, dann hätte er sicher auch irgendeiner armen Sau Herz und Lunge auswechseln können, und das sogar im Schein einer Taschenlampe, wenn Not am Mann gewesen wäre.
    Diese Dinge hatte er in den Händen, aber das meiste hatte er trotzdem im Kopf. Dort hatte er es seit dem Tag seiner Geburt, obwohl man sich seine Ausbildung nie etwas hatte kosten lassen.

22.

Als Papa ein Felsbrocken auf den Kopf fällt und meine Kindheit ein Ende nimmt
    Ich habe auf der höheren Schule angefangen. Ich besuche die erste Klasse des fünfjährigen Realgymnasiums. Ich bin gut in der Schule, der Klassenbeste, ohne mich anstrengen oder daran auch nur einen Gedanken verschwenden zu müssen. Ich habe auch meinen Namen gewechselt. Wenn die Lehrer uns ansprechen, dann mit dem Nachnamen, und das hat mich in dieselbe Verlegenheit gebracht wie Papa, wenn er den Ingenieur trifft. Ich heiße nicht mehr Leif, sondern Persson. Das sind Kleinigkeiten, das ist mir egal. Man will sich meine Ausbildung etwas kosten lassen, ich bin auf dem Weg nach oben. Die Geborgenheit, die mein Vater mir gibt, hat mich jetzt über zehn Jahre lang beschützt, aber als die Katastrophe zuschlägt, hilft mir das kein bisschen.
    Ein abgedroschenes Bild. Als sich unter mir die Erde auftut, falle ich kopfüber ins Dunkel, und wem das selbst einmal passiert ist, den wird dieses Bild nicht weiter stören. Es ist nämlich nicht aus einem Zufall heraus so abgedroschen, sondern weil es kein besseres gibt. Man befindet sich in freiem Fall, genau wie in einem Traum, aber wenn man kopfüber fällt und einen das Dunkel umgibt, dann kann man sich nirgends festhalten, um den Sturz aufzuhalten oder abzumildern. Man ist anderen vollkommen ausgeliefert, ganz egal, was man sich einfallen lässt, hilft es einem nicht im Geringsten weiter.
    Ich bin elf Jahre alt. Ich sitze in meinem Klassenzimmer und habe Schwedischunterricht, schwedische Rechtschreibung, als plötzlich der Rektor eintritt. Alle stehen auf, sogar unser Lehrer.
    »Persson«, sagt der Rektor und sieht uns fragend an.
    »Das bin ich«, sage ich und hebe sicherheitshalber noch die Hand.
    »Ausgezeichnet«, erwidert der Rektor und räuspert sich etwas verlegen, wenn ich mich richtig erinnere. »Ihre Mutter hat angerufen. Sie sollen nach Hause gehen. Offenbar hatte Ihr Vater einen Unfall an seinem Arbeitsplatz. Sie sind also vom Unterricht heute Nachmittag befreit.«
    Mehr wird nicht gesagt, und eine Stunde später – Straßenbahn zum Karlaplan, O-Bus nach Gärdet, die längste Reise meines Lebens – trete ich in das Vestibül der kleinen Wohnung am Tegeluddsvägen, in der Papa, Mama und ich sowie meine kleine Schwester, die so klein ist, dass sie nichts begreift, unser gemeinsames Leben leben.
    Auf dem Fußboden liegt ein blutiges Bündel, Papas Kleider, sein

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