Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Blaumann und alles, was er darunter getragen hat. Jemand hat alles mit seinem Gürtel zusammengebunden. Da ich nur elf Jahre alt bin, sehe ich besonders deutlich, dass es sich um sehr viel Blut handelt, das ihm über Brust und Rücken gelaufen ist, und ganz gleichgültig, ob es sich um das Blut meines Vaters handelt, schließlich ist er der größte und stärkste Vater der Welt, so ist es wirklich außerordentlich viel Blut. In diesem Augenblick reißt es mir alle Sicherheit aus der Brust, und zwar endgültig, und ein schwarzes Nichts bleibt zurück, mit dem ich immer noch lebe.
Viel später, zum wievielten Mal weiß ich nicht, betrachte ich eine Fotografie des Zimmermanns und Bauarbeiters Gustav Vilhelm Persson, die Mitte der fünfziger Jahre von einem richtigen Zeitungsfotografen von Dagens Nyheter aufgenommen worden ist. Papa Gustav in Blaumann, Stiefeln und Helm, mit halbmeterdicken Oberarmen und Händen, die ebenso groß sind wie die Schinken auf dem Weihnachtsbüfett Seiner Majestät des Königs.
Als das Foto aufgenommen wird, liegt er auf dem Bauch in dem Tunnel, in dem die U-Bahn durch die Stockholmer Innenstadt entsteht, und nagelt eine Verschalung fest, die seine Arbeitskollegen vor herabfallenden Felsbrocken schützen soll. Einen Monat später fällt ihm selbst so ein Felsbrocken direkt auf den Kopf. Er wiegt dreißig Kilo, und ausgerechnet in dem Augenblick, in dem er seinen Helm abgenommen hat, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
Etwa zwei Monate nach dem Unfall kommt Papa aus dem Krankenhaus. Ein anderer Papa als der, den ich auf dem Bild sehe, das ein richtiger Fotograf aufgenommen hat, der bei Dagens Nyheter arbeitete. Ich selbst bin ebenfalls ein anderer. Ein Arbeiterjunge, der die höhere Schule besucht und gerade die Fahrkarte für die erste Etappe seines gesellschaftlichen Aufstiegs gelöst hat. In diesem Augenblick, nach dem, was gerade geschehen ist, gibt es keinen Weg zurück mehr, und wie ich weiterkommen soll, davon habe ich keine Ahnung. Eines weiß ich jedoch, ohne Papa, Mama oder eine andere erwachsene Person fragen zu müssen. Meine Kindheit ist gerade zu Ende gegangen.
III.
Jugend,
Realgymnasium,
Verlangen
23.
Das Leben geht weiter
Nach zwei Monaten wird Papa aus dem Krankenhaus entlassen. Es ist nicht derselbe Papa, der mich verlassen hat. Papa ist nur noch halb so groß wie vor dem Unfall. Er leidet unter wahnsinnigen Kopfschmerzen, hört schlecht, und zum ersten Mal in meinem Leben schreit er mich an. Aber er ist am Leben, und mit jedem Tag, der vergeht, wird er wieder mehr mein alter, richtiger Papa.
Wir sind auch aus dem Haus im Tegeluddsvägen weggezogen. Jetzt wohnen wir in einer altmodischen Wohnung am Ende des Valhallavägen im alten Arbeiterstadtteil Sibirien am Roslagstull. Unsere neue Wohnung ist doppelt so groß wie die im Tegeluddsvägen. Ich habe ein eigenes Zimmer mit einem richtigen Bett, einem kleinen Schreibtisch und mit Bücherregalen, die Mama im Möbelgeschäft in der Odengatan gekauft hat. Zu Weihnachten bekomme ich dann auch noch eine eigene Leselampe, die ich auf den Nachttisch neben das Bett stelle. Meine kleine Schwester wohnt in der Dienstbotenkammer, die sich neben meinem Zimmer befindet. Das Schlafzimmer meiner Eltern ist doppelt so groß wie mein Zimmer und geht auf die Straße. In das größte Zimmer, das Wohnzimmer, in dem wir fast nie sitzen, hat Mama die guten Möbel gestellt. Wir essen nach wie vor in der Küche, und trotz allem Neuen, das geschehen ist, folgen wir trotzdem den Gewohnheiten, die man von Leuten wie uns erwarten kann.
Im Keller unseres Hauses liegt ein altmodisches Milchgeschäft, in dem man seine Milch in einer Blechkanne mit Deckel holt. Im Nachbarhaus ist eine Kneipe, vor meinem Fenster ist der Hof asphaltiert. Über ihn gelangt man ins Hinterhaus. Wir wohnen im Vorderhaus im ersten Stock und sind etwas Besseres als die Leute, die im Hinterhaus wohnen. Papa arbeitet nicht mehr als Hausmeister. Unser Hausmeister wohnt im Hinterhaus. Das darf man nicht vergessen. Meiner Mutter werden solche Details immer wichtiger.
Aber mir fehlen meine Freunde. Der, der mir am meisten fehlt, ist mein bester Freund Uffe, der im Viertel Näw Jorkk im Tegeluddsvägen zurückblieb. Am allermeisten und mehr als alles andere fehlt mir jedoch die Geborgenheit, die der Unfall mir raubte.
Im Deutschunterricht stolpere ich über ein Zitat von Friedrich Nietzsche: »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Obwohl er angeblich ein
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