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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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hatte.
Candyman.
Wie naheliegend, dachte er. Ein derart schillerndes Passwort, das jedem, der die Dateien überprüfen wollte, suggerieren sollte, dass sich dahinter belastende Beweise verbargen, während es in Wirklichkeit in eine harmlose Sackgasse führte.
    Der Laptop dagegen, den er in Händen hielt – der »Computer seiner Mutter« –, das war das eigentliche Corpus delicti. Er beäugte die grauhaarige Frau mit dem wilden Blick. »Hat Mark als Kind je ein Haustier gehabt …?«
    »Wir hatten einen Hund namens Butchie …«
    Adrian lächelte.
Butchie. Das ist eine Möglichkeit.
    »Mark musste ihn einschläfern. Butchie hat gern gejagt, und er hat Leute gebissen.«
    Genau wie dein Sohn.
Die alte Frau sah plötzlich so aus, als würde sie gleich weinen. Adrian überlegte einen Moment, dann stellte er eine weitere Frage. »Und wie hieß das Nachbarmädchen, Sie wissen schon, das Mädchen von nebenan, oder war es ein paar Häuser weiter, als Mark sechzehn oder siebzehn war?«
    Augenblicklich nahm das Gesicht der Frau einen anderen Ausdruck an. Sie machte eine böse Miene. »Das ist so was wie ein Memory-Spiel, was? Ich kann mir nicht mehr alles so gut merken, ich vergesse viel …«
    »Aber dieses Mädchen, an die erinnern Sie sich schon, nicht wahr?«
    »Ich mochte sie nicht.«
    »Wie hieß sie noch gleich …«
    »Sandy.«
    »Sie hat Mark damals das erste Mal in Schwierigkeiten gebracht, richtig?« Die Frau nickte. Er fragte sich, ob Mark Wolfe Sinn für Ironie besaß. Adrian machte sich, den Laptop unter den Arm geklemmt, bereits auf den Weg zur Tür, drehte sich jedoch, als er schon die Klinke in der Hand hielt, noch einmal um. »Wie heißen Sie?«
    Sie lächelte. »Ich heiße Rose.«
    »Wie die schöne Blume?«
    »Als ich jung war, hatte ich leuchtend rote Bäckchen, damals, nach der Hochzeit mit …«
    Sie brach mitten im Satz ab und legte die Hand vor den Mund.
    »Wo ist er hingegangen?«
    »Er hat uns verlassen. Ich kann mich nicht erinnern. Es war schlimm. Wir waren allein, und es war schwer. Aber jetzt kümmert sich Mark um mich. Er ist ein guter Junge.«
    »Ja, das ist er. Wer hat Sie verlassen?«
    »Ralph«, sagte sie. »Ralph hat uns verlassen. Ich war immer Ralphs Rose, und er hat gesagt, ich würde auf ewig blühen, aber er ist weggegangen, und ich blühe nicht mehr.«
    Ralphsrose,
dachte Adrian.
Vielleicht.
»Das war wirklich sehr nett, Rose. Rose, ich werde zurückkommen, und dann können wir uns noch mal übers Stricken unterhalten. Vielleicht stricken Sie mir ein Paar von diesen Fäustlingen.«
    »Das wäre nett«, sagte sie.

26
    J ennifer sang Mister Braunbär leise etwas vor, als die Tür aufging. Es war kein spezielles Lied, sondern eine Mischung aus sämtlichen Kinderliedern, an die sie sich erinnern konnte, so dass »Row, Row, Row Your Boat« und »Itsy Bitsy Spider« in »The Bear Went Over the Mountain« und »I’m a Little Teapot« übergingen. Außerdem mischte sie noch das eine oder andere Weihnachtslied darunter. Jeden Liedtext, jeden Vers, jede Melodie, die ihr einfielen, summte sie vor sich hin. Um Rap und Rock ’n’ Roll machte sie einen großen Bogen, weil sie sich nicht denken konnte, wie sie daraus Trost schöpfen sollte. Als das Geräusch der Tür sie unterbrach, hielt sie die Luft an, sang jedoch im nächsten Moment umso lauter weiter. »God bless ye, merry Gentlemen, let nothing ye dismay, remember Christ our Saviour was born this Christmas day …Gott segne euch, ihr wackren Herren, seid guten Muts und wisst, an diesem Tag geboren ward unser Herre Christ …«
    »Nummer 4, bitte pass auf.«
    »Oh, the bear went over the mountain, the bear went over the mountain, the bear went over …«
    »Nummer 4, hör auf zu singen, oder ich tu dir weh.« Jennifer hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Drohung ernst gemeint war. Sie hörte auf. »Gut«, sagte die Frau.
    Jennifer hätte am liebsten gelächelt.
Kleine Rebellionen,
sagte sie sich.
Tu, was sie verlangen, aber
 …
    »Pass auf«, sagte die Frau.
    Ich weiß, wo du bist,
dachte Jennifer. Sie wusste nicht, wieso ihr das so wichtig war, aber das war es. Von den wenigen Sekunden, die sie unter ihrer Augenbinde hervorgespäht hatte, fühlte sie sich viel stärker. Endlich konnte sie sich im Raum orientieren. Sie wusste von der Videokamera, die auf sie gerichtet war. Sie hatte die kahlen weißen Wände, den grauen Fußboden gesehen, blitzschnell Maß genommen und vor allem gesehen, dass ihre Kleider in der

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