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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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enthielt eine Anzahl kleinerer Bilder, jeweils mit einem Titel wie ›Gang zur Toilette‹ oder ›Nummer 4 beim Essen‹ oder ›Interview 1‹.
    »Sicher, aber ich hasse das. Den richtigen Kick hast du nur in Echtzeit.« Er griff nach einem Stapel Lehrbücher. »Mist. Ich muss los. Wenn ich noch mal fehle, kostet es mich eine halbe Note.«
    »Dann mach dich vom Acker.«
    Der Student stopfte Bücher in seinen Rucksack und schnappte sich ein zerschlissenes Sweatshirt von einem Wäschestapel. Doch zum Abschied beugte er sich vor und küsste das Bild von Nummer 4 auf dem Monitor. »Bis in ein paar Stunden, Darlin’«, sagte er, indem er einen Südstaatenakzent nachahmte. In Wahrheit stammte er aus einer Kleinstadt in Cleveland, Ohio. »Tu nichts ohne mich. Tu wenigstens nichts, was ich nicht tun würde. Und lass nicht zu, dass jemand anders was mit dir macht. Jedenfalls nicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden.«
    »Ja. Bleib am Leben und bleib Jungfrau, solange das Arschloch hier neben mir in sein Seminar muss, damit er nicht durchrasselt und seinen Lebensunterhalt an der Würstchenbude verdienen muss.«
    Sie lachten beide, auch wenn es nicht ganz und gar spaßig gemeint war.
    »Gib mir Bescheid, wenn du was siehst. Sims mir gefälligst, ja?«
    »Geht klar.«
    Sein Zimmernachbar streichelte den Bildschirm und machte es sich vor dem Computer bequem. »Hey«, sagte er. »Dein widerlicher Zungenkuss hat einen Sabberfleck hinterlassen.« Der andere zeigte ihm den Stinkefinger und ging.
    Der zurückgebliebene Student drehte sich wieder zu Nummer 4 um. Er liebte das, was er als ihren Einfallsreichtum bezeichnet hätte, während er andererseits auf keinen Fall die Vergewaltigung verpassen wollte, wenn es so weit war. Er spekulierte, ob es schnell und brutal sein würde oder ob sie es als ein Verführungstheater in die Länge ziehen würden. Er tippte auf Letzteres. Er fragte sich, ob sie sich einfach in ihr Schicksal fügen und es über sich ergehen lassen oder ob sie sich mit Händen und Füßen wehren würde. Was ihm lieber war, konnte er im Moment nicht sagen. Einerseits konnte er sich nicht daran sattsehen, wie der Mann und die Frau Nummer 4 drangsalierten. Andererseits hielt er instinktiv zum Underdog, was sie nun offensichtlich war. Genau das liebten er und sein Zimmernachbar an Serie Nummer 4. Alles war vorhersehbar und zugleich vollkommen unerwartet.
    Manchmal kam ihm die Möglichkeit in den Sinn, dass es auf dem Campus noch andere Studenten gab, die dafür bezahlten, Nummer 4 zu sehen. Vielleicht lieben wir sie alle, dachte er. Sie erinnerte ihn entfernt an ein Mädchen, das er an der Highschool gekannt hatte. Oder auch an alle Mädchen, die er an der Highschool gekannt hatte. Eines stand jedoch fest: Die Tage von Nummer 4 waren gezählt.
    Der Schuss markierte vielleicht den Anfang vom Ende. Andererseits vielleicht auch nicht. Er konnte es nicht sagen. Er wusste nur, dass sie am Ende sterben musste. Er war gespannt, wie es passieren würde. Er konnte nicht genug bekommen von Dschihad-Videos und von YouTube-Beiträgen von blutrünstigen Autounfällen, und sein Traum war es, einmal bei
Survivor
oder einer anderen Reality-Fernsehshow aufzutreten, wo er, da war er sich absolut sicher, die Million Dollar gewinnen würde.
    Nummer 4 zitterte wieder heftig. Er hatte schon mit diesem Verlust ihrer Körperkontrolle gerechnet. Sie war der Beweis, dass ihre Angst nicht gespielt war. Er fand das toll. So viel von dem, was er sah, war gespielt. Pornostars täuschten Orgasmen vor. Videospiele täuschten Tote vor. Fernsehshows täuschten Dramen vor.
    Nicht so Whatcomesnext.com. Nicht Nummer 4.
    Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie die wirklichste unwirkliche Sache war, die er je gesehen hatte. Seine Spekulationen kamen zu einem abrupten Ende. Es tat sich etwas in dem Raum. Er sah, wie sich Nummer 4 ein wenig zur Seite drehte. Die Kamera schwenkte mit.
    Die Tür ging auf.
    Jennifer zuckte bei dem Geräusch zusammen.
    Sie hörte das Rascheln und wusste, dass die Frau in der knisternden Kleidung ins Zimmer kam. Statt sich wie sonst langsam zu bewegen, schien sie es diesmal eilig zu haben. Eben noch war sie an der Tür, jetzt beugte sie sich dicht über Jennifers Gesicht. »Nummer 4, hör gut zu: Tu genau, was ich dir sage.«
    Jennifer nickte. Sie hörte aus dem Ton der Frau Besorgnis heraus. Ihre gewöhnlich kalte, monotone Sprechweise war beschleunigt, ihre Stimme trotz des Geflüsters höher als bisher. Sie spürte, dass

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