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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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versucht, den Unterschied herauszufinden.
    Es ist ihm einfach nicht gelungen.
    Brian seufzte, bevor er fortfuhr: »Du siehst, Bruderherz, da war ich nun mal, fast noch ein Kind und bis oben hin voll vom Töten und Sterben, und ich wusste, ich wusste es einfach, verflucht noch mal, dass ich es immer mit mir herumschleppen würde und dass es mich, egal, was ich in all den Jahren danach mit mir anfing, nie in Ruhe lassen würde.«
    Brians Stimme klang auf einmal so weich, dass Adrian sie kaum wiedererkannte. Sein Bruder hatte immer laut und leidenschaftlich für seine Mandanten gekämpft, und es war befremdlich, ihn so niedergeschlagen und kleinlaut zu erleben. Es war unmöglich. Adrian spähte zur Seite und schnappte nach Luft. Brians Gesicht war blutverschmiert und die Vorderseite seines Hemdes tiefrot verfärbt. Sein Haar war verfilzt. Adrian konnte zwar nicht das Einschussloch in seiner Schläfe sehen, doch er wusste, dass es da war, nur außerhalb seines Blickfelds.
    »Weißt du, was mich überrascht hat, Audie? Du warst immer der Akademiker, der intellektuelle Typ. Gedichte und wissenschaftliche Experimente. Dabei hatte ich keine Ahnung, wie robust du bist«, fuhr Brian im ausdruckslosen Berichterstatterton fort. »Ich hätte nicht weiterleben können, nachdem Tommy drüben im Irak gestorben ist. Ich hätte auch nicht weitermachen können, nachdem Cassie gegen den Baum gefahren ist. Ich war egoistisch, ich hab allein gelebt. Ich hatte Mandanten und Fälle. Ich hab niemanden in mein Leben gelassen. Das hat es alles so viel leichter für mich gemacht – weil ich mich nicht um geliebte Menschen sorgen musste.«
    Adrian richtete den Blick wieder vor sich auf die Straße. Er überprüfte mehrfach, ob er sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielt.
    »Wolfes Haus kommt gleich da drüben«, sagte Brian. Er zeigte voraus. Er hatte Blut am Finger.
    »Bleibst du bei mir?«, fragte Adrian. Seine Frage stand eine Weile im Raum.
    »Wenn du mich brauchst, bin ich da«, antwortete Brian. Und plötzlich war wieder ein bisschen vom alten Brian, dem selbstbewussten, gradlinigen, unerschrockenen Brian, da. Adrian sah, wie sein Bruder anfing, die Vorderseite seines Hemdes abzuwischen, als handelte es sich um Brotkrumen und nicht um Blut. »Hör zu, Audie, du wirst mit dem Burschen fertig. Vergiss nur nicht, was dir jeder Ermittler sagen kann: Es gibt immer eine Verbindung. Irgendwo da draußen gibt es etwas, das dir sagen kann, wo du nach Jennifer suchen musst. Vielleicht ist es ja gleich so weit. Du musst nur die Augen aufhalten, damit du es siehst, wenn es vorbeirauscht. Wie dieser Wagen an der Ampel. Du musst bereit sein, in Aktion zu treten.«
    Adrian nickte. Er fuhr an den Bürgersteig und blickte zu Mark Wolfes Haus hinüber. »Bleib einfach in der Nähe«, sagte er in der Hoffnung, dass sein toter Bruder das als Anweisung verstand, während es in Wahrheit eine Bitte war.
    »Ich bin immer so nah, wie du willst«, antwortete Brian.
    Erst jetzt sah Adrian, dass Wolfe in der Tür stand und nach ihm Ausschau hielt. Er winkte Adrian zu wie einem guten Nachbarn an einem Sonntagmorgen.
     
    Adrian war über die fröhliche, behagliche Atmosphäre erstaunt, die ihm in Wolfes Haus entgegenschlug. Durch die geöffneten Jalousien flutete die Sonne herein. Es lag ein Frühlingsduft in der Luft, wenn auch vielleicht nur aus einer Dose Raumspray. Wolfe deutete in das inzwischen vertraute Wohnzimmer. Als Adrian eintrat, kam Wolfes Mutter aus der Küche. Sie begrüßte ihn freundlich mit einem Kuss auf jede Wange, auch wenn sie sich offenbar nicht an seine früheren Besuche erinnern konnte. Kurz darauf verschwand sie geschäftig in einem Hinterzimmer, um »ein bisschen aufzuräumen und Wäsche zu sortieren«, vermutlich eine verabredete Erklärung dafür, dass sie nicht länger blieb. Er konnte sich vorstellen, dass Wolfe seiner Mutter genau eingepaukt hatte, was sie sagen sollte, wenn Adrian kam.
    Wolfe folgte seiner Mutter und schloss eine Tür hinter ihr. »Ich hab nicht allzu viel Zeit«, sagte er. »Sie wird unruhig, wenn ich sie zu lange alleine lasse.«
    »Was ist, wenn Sie bei der Arbeit sind?«
    »Daran mag ich gar nicht denken. Ich hab dafür gesorgt, dass eine ihrer Freundinnen immer mal vorbeischaut. Ich hab eine Liste mit Leuten, die sie kannte, bevor das Ganze anfing, die bereit sind auszuhelfen, also rufe ich sie an, sooft ich kann. Manchmal gehen sie mit ihr spazieren. Aber wegen meiner …«, er legte eine Pause ein, »…

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