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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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anderer einen Blick riskieren. Ein Teil wollte das Bett verlassen. Das waren die gefährlichen Stimmen, die mit den auf Sicherheit bedachten im Widerstreit lagen, welche ihr rieten, sich genau an ihre Anweisungen zu halten. Sie versuchte, den Mann oder die Frau zu hören. Kein Laut. Dann hörte sie etwas Vertrautes, etwas, das verwirrender als alles Dagewesene war.
Eine Sirene. Eine Polizei- oder Feuerwehrsirene, die rasch näher kam.

34
    A drian scherte abrupt vor dem anderen Wagen aus, was lautes Hupen und quietschende Reifen nach sich zog. Das Geräusch hallte im Inneren des Volvos wider, und es war nicht schwer, sich die entsprechenden wütenden Flüche und Schimpfkanonaden vorzustellen. Er sah auf und merkte, dass er eindeutig bei Rot über die Ampel gefahren und einem Unfall nur um wenige Meter entkommen war. Er murmelte: »Tut mir leid, tut mir wirklich leid, ich hab nicht gesehen, wie sie auf Rot gesprungen ist«, als ob ihn der andere Fahrer, der noch einmal Glück gehabt hatte und davonbrauste, hören oder sein reumütiges Gesicht sehen könnte.
    »Das ist ein bedenkliches Zeichen, Audie«, sagte Brian vom Beifahrersitz aus. »Es geht bergab. Du musst deine Sinne zusammenhalten.«
    »Versuch ich ja«, antwortete Adrian ein wenig genervt. »Ich bin nur manchmal mit den Gedanken woanders. Kann schließlich jedem passieren. Hat nichts weiter zu bedeuten.«
    »Mach dir nichts vor«, antwortete sein Bruder. »Du weißt so gut wie ich, was Sache ist. Und wahrscheinlich auch der Typ in dem anderen Auto.«
    Adrian fuhr ziemlich geladen weiter und reagierte die Ängste über seinen eigenen Geisteszustand an seinem Bruder ab. »Sagt der Richtige«, knurrte er nach einer Weile. »Muss ich dich daran erinnern, wer von uns beiden vor allen verheimlicht hat, was mit dir los war? Vor allen, die dir hätten helfen können?«
    Brian schnaubte nur. »Ist es dir schon mal in den Sinn gekommen, Bruderherz, dass all die Therapien nichts brachten? Dass ich vielleicht von all den Pillen und den Seelenklempnern und dem Reden, Reden, Reden, bis es einem zu den Ohren rauskommt, genug hatte?«
    »Ach ja? Das konntest du beurteilen? Wusste gar nicht, dass du Psychologie studiert hast!« Die sarkastische Tirade tat Adrian gut. Sein Bruder hatte recht – wenigstens wenn es darum ging, sich beim Fahren nicht ablenken zu lassen. Ob er in Bezug auf seinen Selbstmord recht hatte, stand auf einem anderen Blatt.
    »Ich finde, was du getan hast, war feige«, fügte Adrian mit einem hässlichen, selbstgefälligen Unterton hinzu. »Am Ende blieb es an mir hängen, mich durch das Chaos zu wühlen, das du hinterlassen hast.« Eigentlich wollte Adrian sagen, dass Brian ihn genau wie Cassie und Tommy mit einer Menge offener Fragen zurückgelassen hatte. Und jede Frage gab neue Rätsel auf. Doch das konnte er nicht sagen, weil er Angst hatte, seinem toten Bruder zu viel zuzumuten.
    Brian schwieg eine Weile. Die helle Mittagssonne blitzte in der Windschutzscheibe auf und verblasste wieder. Sie waren nur noch wenige Straßen von Mark Wolfes Haus entfernt, und Adrian hielt es für angebracht, sich schon einmal zu überlegen, was er sagen sollte. Er machte sich außerdem klar, dass ein richtiger Detektiv ahnen würde, weshalb Wolfe ihn gebeten hatte, zu ihm zu kommen.
    Sein Bruder kam ihm mit Überlegungen zu seinem eigenen Tod in die Quere. »Ich wusste nur so viel, Audie, dass ich einen wirklich wichtigen Teil von mir zurückgelassen hatte, und zwar an irgendeinem Ort, an dem er unwiederbringlich verloren war, egal, was ich machte, um ein Loch zu füllen, das einfach nicht zu füllen war. Danach sah alles in meinem Leben aus wie eine Beschönigung. Manchmal macht der Kampfeinsatz das mit einem. Wahrscheinlich nicht mit jedem. Bei mir, na ja, bei mir war es nun mal so.«
    Aber das stimmt nicht,
dachte Adrian.
Wir verstehen posttraumatische Belastungsstörungen heute viel besser. Ich könnte dir die Untersuchungen und die Beispiele erfolgreicher Therapien zeigen. Nur weil man einmal im Leben eine harte Zeit durchgemacht hat, ist man nicht in alle Ewigkeit verdammt. Menschen überleben das. Menschen lassen es hinter sich. Menschen blühen danach wieder auf
 … Doch er sagte nichts von alledem, weil ihm bewusst wurde, dass er es hätte sagen sollen, als Brian noch am Leben war. Nicht jetzt.
    Er hat eine Welt des Tötens gegen eine Welt der Gesetze getauscht. Er hing zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen fest und hat den Rest seines Lebens

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