Der Professor
hergelangen müssen. Im ländlichen Neuengland gab es kaum Bedarf an Spezialkräften. Trafen sie dann endlich ein, mussten sie über die Situation in Kenntnis gesetzt werden. Wir haben es mit einem pensionierten Professor zu tun, der möglicherweise nicht ganz dicht ist und hier irgendwo mit einer geladenen Waffe herumläuft. Sie bezweifelte, dass sie für einen solchen Fall den Einsatz von schusssicheren Westen, leistungsstarken automatischen Waffen und quasimilitärischer Planung angemessen finden würden.
Na schön, dann eben kein SEK , dachte sie. Sie hatte auch keine Ahnung, ob die örtliche Polizei mehr als einen Streifenpolizisten auf einmal im Dienst hatte, und der konnte kilometerweit weg sein. Sie wusste, dass sie ein ganzes Ende von ihrem Zuständigkeitsbezirk entfernt war und daher örtliche Unterstützung anfordern
musste
. Und zwar schon aus juristischen Gründen. Einfach mit Volldampf zur Haustür zu marschieren war vielleicht genauso gefährlich wie das, was der Professor machte. Sie war hin- und hergerissen und trat auf der Stelle. Fehler waren vorprogrammiert, und egal, was sie machte, würde sie hinterher Prügel beziehen, andererseits war ihr klar, dass sie sich geschworen hatte,
irgendetwas
zu unternehmen. Sie brauchte einfach nur einen Moment, um herauszufinden, was, während zugleich jeder Moment, den sie zögerte, der letzte sein konnte, in dem sie noch etwas tun
konnte
.
Sie fluchte laut. Sie war so in ihre inneren Entscheidungskämpfe, Einschätzungen und unmöglichen Optionen vertieft, dass sie das Knallen in der Ferne beinahe überhört hätte.
»Himmel!«, sagte Wolfe. »Was war das denn?« Doch er kannte die Antwort auf seine Frage.
Adrian bewegte sich im Krebsgang und geduckt, mit dem Rücken immer dicht an der Bretterverschalung des Hauses. Er merkte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn stand und in die Achseln trat. Es war, als hätte ihn ein Scheinwerferlicht erfasst; die Hitze und das grelle Licht waren unerträglich. Er legte die Finger der rechten Hand fest um den Griff der Neunmillimeter und arbeitete sich weiter vor, bis er das Kellerfenster erreichte. Er horchte auf das geringste Geräusch und schnupperte wie ein Hund in der Luft. Er fühlte sich in diesem Moment lebendiger, als er es seit Wochen oder Monaten gewesen war.
Auf der weichen Erde ging er in die Hocke und legte die Waffe weg. Innerlich schickte er ein Stoßgebet zu dem Gott, der über alten Männern und Teenagern wachte. Bitte lass es offen sein. Bitte lass dies das richtige Haus sein. Er schob die Finger unter die Kante des Fensterrahmens und zog daran. Es bewegte sich ein, zwei Zentimeter.
Adrian versuchte, seitlich hineinzugreifen und es einen größeren Spaltbreit zu öffnen. Er zog erneut. Diesmal hörte er es quietschen und splittern, als das verrottete, alte Holz nachgab. Wieder ein paar Zentimeter.
Er riss sich die Nägel ein und grub sich Holzsplitter in die Fingerkuppen; als er an sich heruntersah, bemerkte er, dass aus Kratzern und Schnittwunden ohnehin schon das Blut herausquoll. Er schloss die Augen und befahl dem Schmerz, gefälligst zu verschwinden, er habe in diesem Moment Wichtigeres zu tun, als sich mit Verletzungen zu plagen. Nach diesem kurzen frustrierten Wortwechsel mit seinem Körper beschloss er, von nun an jede physische Missempfindung zu ignorieren.
Er packte das Fenster zum dritten Mal, nahm das letzte bisschen Kraft zusammen und legte sich mit dem ganzen Körper zurück. Es krachte, das Fenster löste sich, und er fiel auf den Rücken. Er rappelte sich hoch, packte den Rahmen und schob ihn nach oben.
Das Fenster war schmal und klein, vielleicht dreißig Zentimeter hoch und fünfzig Zentimeter breit. Aber es war offen.
Adrian beugte sich vor. Es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass er vielleicht nicht durch die kleine Öffnung passen könnte, und einen Moment versuchte er, seine Schultern mit den Maßen abzugleichen. Er war entschlossen, sich hindurchzuzwängen, egal, wie klein es war. Kamel durchs Nadelöhr – wieso nicht. Nachdem sich seine Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, das von draußen durch die Öffnung drang, spähte er in den Keller. Der erste Eindruck, der ihm entgegenschlug, war der eines dunklen, muffig riechenden Verlieses. Als er jedoch genauer in die Ecken sah, erkannte er alle möglichen Hightech-Kabel, die sich durch die Decke schlängelten. Keines der Kabel war, wie alles andere in dem Gemäuer, von Staub bedeckt.
Er sah noch genauer
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