Der Professor
ie fuhren immer noch in rasantem Tempo eine schmale Nebenstraße entlang, als Mark Wolfe Adrians Wagen in der Haltebucht entdeckte. Terri Collins trat im selben Moment auf die Bremse, als Wolfe brüllte: »Hey, da ist er!«, fegte aber dennoch an dem alten Volvo vorbei, so dass sie mit quietschenden Reifen eine Kehrtwende machen musste, bevor sie neben dem anderen Fahrzeug anhalten konnte.
Ihr zitterten die Beine, als sie hinter dem Lenkrad hervorsprang. Zu viel Sorge, zu forciertes Tempo; sie fühlte sich ein wenig wie jemand, der ausgeschert war, um einen Unfall zu vermeiden, und merkte, wie der Adrenalinstoß schnell verebbte. Wolfe rappelte sich vom Beifahrersitz auf und stand neben ihr.
Von Adrian war weit und breit nichts zu sehen. Terri trat vorsichtig an den Volvo heran und inspizierte den Boden in seiner Umgebung so sorgfältig, wie sie es bei einem Tatort tun würde. Sie spähte durch die Windschutzscheibe hinein. Das Wageninnere bot einen chaotischen Anblick. Ein uralter Styropor-Kaffeebecher. Eine halb geleerte Quellwasserflasche. Eine Ausgabe der
New York Times,
die Monate zurücklag, und eine ein Jahr alte
Psychology Today
. Sie entdeckte sogar ein paar längst überfällige Knöllchen. Der Wagen war nicht abgeschlossen, und so öffnete sie die Tür, um genauer nachzusehen, als könne ihr dort irgendein zurückgelassener Gegenstand etwas sagen, das sie nicht schon wusste.
»Sieht aus, als wäre er kaum hier gewesen und schon wieder weg«, sagte Wolfe, indem er den gedehnten Südstaatenakzent annahm, um die gespannte Atmosphäre aufzulockern. Terri trat zurück. Sie drehte sich um und starrte die Straße entlang. Ihr Blick fragte:
Wohin?
Zur Antwort trottete Wolfe zum Wagen der Kommissarin zurück und schnappte sich die Straßenkarten und das Handy. Er verschaffte sich schnell einen Überblick und drückte auf ein paar Tasten, bevor er die Allee hinunterzeigte, auch wenn da nur Schatten zu warten schienen. »Da drüben«, sagte er. »Da ist das Haus, das er sucht. Jedenfalls nach alledem hier. Auch wenn man sich nicht immer drauf verlassen kann. Jedenfalls käme man nicht auf die Idee, dass aus dieser Wildnis ein richtig ausgeklügelter Webcast kommt.«
»Und woher
sollte
er Ihrer Meinung nach kommen?«, fragte Terri in gereiztem Ton.
»Keine Ahnung«, antwortete Wolfe. »Einkaufsmeile in Kalifornien? Fotostudios in der City?« Dann schüttelte er den Kopf, als reagierte er auf ein Gegenargument, das niemand ausgesprochen hatte. »Na ja, vielleicht nicht bei der Art von Sendung, die diese Typen produzieren.« Wolfe folgte Terris Blick. »Schätze, der alte Knabe ist zu Fuß gegangen«, sagte er.
Terri blickte voraus und entdeckte so wie zuvor Adrian den zerbeulten Briefkasten, der den Eingang zum Bauernhaus markierte.
»Vielleicht hat er beschlossen, sich an sie anzuschleichen«, sagte Wolfe. »Vielleicht weiß er ja, was er tut, und gibt es Ihnen oder mir gegenüber nur nicht zu. So oder so hat er, glaube ich, keine Ahnung, was ihn da erwartet, ein freundlicher Empfang wird es jedenfalls nicht.«
Terri antwortete nicht. Jedes Mal wenn Wolfe eine Bemerkung machte, die sich mit ihren eigenen Überlegungen deckte oder einfach nur schlüssig war, empfand sie eine Mischung aus Abneigung und Frust. Dass sie sich hier schon mit einem Fuß auf einem Terrain befanden, auf dem er sich vermutlich besser auskannte als sie, machte sie wütend. Sie wandte sich abrupt ab und überlegte. Sie sah sich mehr oder weniger demselben Dilemma gegenüber wie zuvor Adrian.
Sie nahm Wolfe das Handy aus der Hand. Es gab für einen Fall wie diesen klare Dienstvorschriften. Ihr Dezernat schickte ständig irgendwelche langatmigen Mitteilungen herum, in denen sie angewiesen wurden, sich bei laufenden Ermittlungen bitte schön streng an die rechtlichen Grundlagen und die Dienstanweisungen zu halten. Die korrekte Verfahrensweise besagte: Beweismittel sichern und registrieren, Berichte in dreifacher Ausfertigung vorlegen und abheften. Bei dieser Sache hier hätte ihr Chef unterrichtet werden müssen. Sie hätte einen Durchsuchungsbefehl erwirken müssen. Vielleicht hätte sogar das SEK angefordert werden sollen, falls es denn in der Gegend eins gab, was sie bezweifelte. Ein gut ausgebildetes Sondereinsatzkommando hierher zu kriegen hätte zahlreiche Anrufe und umständliche Erklärungen erfordert, und selbst dann würde es von der nächsten Polizeikaserne, die vermutlich mindestens eine halbe Stunde entfernt lag, erst einmal
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