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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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gehalten worden war, am Ende sie beide ein. Ihr Selbstvertrauen kam ins Wanken, und wie nie zuvor wandten sie sich gebannt dem Bildschirm zu und wussten nicht so recht, was nun tatsächlich als Nächstes kommen würde.
     
    Der Lehm klebte ihm an den Kleidern und bedeckte seine Hände, so dass der Griff der Neunmillimeter glitschig wurde. Adrian stieg der satte Geruch der Erde in die Nase, als er langsam und geduldig auf das Bauernhaus zukroch. Die Sonne stand hoch am Himmel, und er dachte, wenn irgendjemand aus einem Fenster blickte, musste er ihn selbst in seiner geduckten Stellung entdecken. Doch er krabbelte unverdrossen weiter und überquerte die offene Fläche so unauffällig wie möglich, ohne den Blick von seinem Ziel zu wenden. Er stand erst auf, als er die Ecke der Scheune erreichte, wo er sich hinter die Wand ducken konnte und vom Haus aus nicht zu sehen war. Er keuchte schwer, doch nicht aus Erschöpfung, sondern weil er das Gefühl hatte, sich kopfüber in einen unwiderruflichen Kampf zu stürzen, bei dem seine Krankheit mit all seinem Scheitern als Ehemann, Vater und Bruder zusammentraf. Er hätte sich gerne an seine Geister gewandt und ihnen gesagt, es tue ihm leid, doch der Rest an Intuition und Einsicht, der ihm noch verblieben war, sagte ihm, dass er weitermusste. Sie würden schon mitkommen, egal, was für alberne Reuebekundungen ihm am Herzen lagen.
    Mit jeder Faser wusste er, dass die vermisste Jennifer nur wenige Meter von ihm entfernt war. Als er bis zur Scheune schlich und vorsichtig um die Ecke spähte, fragte er sich einen Moment, ob irgendein Mensch bei klarem Verstand zu demselben Schluss gekommen wäre. Er hatte die Rückseite des Bauernhauses vor sich. Es gab eine einzige Tür, die, wie er vermutete, in die Küche führte. An der Vorderseite befand sich, zumindest seinen Bildern nach, eine Eingangsveranda, auf der es wahrscheinlich irgendwann einmal eine Schaukel oder Hängematte gegeben hatte, über der sich jetzt aber nur ein weiteres leckes Dach breitete.
    Es war nichts zu hören. Nirgends bewegte sich etwas. Nichts, was darauf hindeutete, dass drinnen jemand war. Ohne den alten Truck vor dem Haus hätte man es für unbewohnt gehalten.
    Natürlich wären die Türen verschlossen und verriegelt. Er überlegte, ob er vielleicht mit Hilfe des Revolvergriffs irgendwo einbrechen konnte. Doch Lärm war sein Feind und lief auf einen Frontalangriff hinaus – jedenfalls hatte ihm sein Bruder schon klargemacht, dass das ein Fehler wäre. Der Gedanke, er könnte so weit gekommen sein und doch noch scheitern, machte ihm Angst. Das war ihm mit allen Menschen passiert, die er geliebt hatte, und so war er eisern entschlossen, denselben Fehler nicht noch einmal zu begehen.
    Adrian inspizierte eingehend das Haus. Von der Küche führte eine wackelige Treppe mit einem offenbar zerbrochenen Geländer hinunter.
    Doch direkt daneben befand sich unmittelbar über dem Boden ein kleines verschmutztes Fenster. In seinem Haus hatte er genau so eins – ein schmales Fenster mit einer einzigen Scheibe, das ein wenig Licht in den Keller ließ.
    Adrian überlegte:
Wenn der Mann und die Frau, die Jennifer entführt haben, wie die meisten Leute sind, denken sie daran, die Haustür und die Tür an der Rückseite abzuschließen, sie werden auch die Riegel an den Schiebefenstern im Wohnzimmer und im Esszimmer überprüfen. Doch an das Kellerfenster haben sie nicht gedacht. Hab ich auch nie; Cassie ebenso wenig. Da komm ich rein.
    Durch den offenen Garten würde er rennen müssen. So schnell er konnte.
Was ist mit einer Alarmanlage?
Nicht in einem so alten Haus, redete er sich ein. Renn, was das Zeug hält! Dann würde er sich am Fundament des Hauses zu Boden werfen und versuchen, das Kellerfenster aufzubekommen.
    Es war kein überwältigender Plan. Falls seine Rechnung nicht aufging, hatte er keinen Plan B. Er tröstete sich einfach damit, dass er sein ganzes akademisches Leben damit zugebracht hatte, die Ergebnisse von Experimenten nicht vorwegzunehmen. Ganzen Studentengenerationen hatte er gepredigt:
Nehmt nie das Ergebnis vorweg, denn dann ist euch der Blick verstellt, und ihr seht nicht, was sich abspielt, und ihr werdet
     nie erleben, wie aufregend es ist, wenn es anders kommt als erwartet.
    Er war einmal Psychologe gewesen. Und in jungen Jahren ein Läufer. Er biss die Zähne zusammen, holte tief Luft und rannte los. Adrian sprintete mit aller Macht zum Bauernhaus und zu dem kleinen, ebenerdigen Fenster.

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