Der Professor
seufzte. Es würde nicht so leicht werden, Jennifer zu finden. Im Grunde konnte sie nur hoffen, dass dem Teenager das Geld ausging, bevor ein Zuhälter sie zur Prostitution zwang oder drogenabhängig machte oder bevor sie vergewaltigt und ermordet wurde und Terri nur noch bei ihrer Mutter anrufen musste, um ihr das mitzuteilen. Das Problem war, wie ihr immer klarer wurde, dass Jennifer diese Flucht vorbereitet hatte. Sie war ein entschlossenes junges Mädchen, eigensinnig und intelligent. Terri glaubte nicht, dass Jennifer es in den Genen hatte, bei den ersten Schwierigkeiten aufzugeben.
Terri öffnete die Fallakte und legte sie neben den Laptop, den sie aus Jennifers Zimmer mitgenommen hatte. Jennifer hatte auf dessen Deckel zwei leuchtend rote Blumensticker und einen »Rettet die Wale«-Stoßstangenaufkleber angebracht. Normalerweise hätte Terri bis zum Morgen gewartet und dann die Staatsanwaltschaft gebeten, den Computer von einem ihrer Kriminaltechniker untersuchen zu lassen. Bürokratie hoch zwei. Doch Terri hatte als Gasthörerin an der hiesigen Universität einen Graduiertenkurs in Internetkriminalität belegt, und sie wusste schon genug, um auf die Festplatte zu kommen und von dem gespeicherten Inhalt ein Geisterbild zu erstellen und anschließend sämtliche Daten auf einen USB -Stick zu speichern. Sie griff nach dem Laptop und öffnete ihn.
Sie warf einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass die erste Morgendämmerung durch die Zweige der stattlichen braunen Eiche am Rand des Parkplatzes fiel. Sie verweilte eine Minute bei dem Anblick. Das Licht sickerte durch die Blattknospen, kroch über die raue Rinde des Baums und machte sich entschlossen daran, die Schatten zu vertreiben. Sie wusste, dass sie nach der durchgearbeiteten Nacht eigentlich erschöpft sein müsste, doch das Adrenalin gab ihr noch einen Rest Energie. Kaffee könnte nicht schaden, dachte sie.
Sie rief sich ins Gedächtnis, dass sie bald zu Hause anrufen musste, um dafür zu sorgen, dass Laurie die Kinder weckte, ihnen ihr Lunchpaket richtete und sie rechtzeitig für den Bus aus der Wohnung scheuchte. Sie hasste es, nicht da zu sein, wenn sie erwachten – auch wenn die Kinder sich wahrscheinlich freuen würden, Laurie zu sehen. Sie fanden es immer aufregend, wenn ihre Mutter zu einem mitternächtlichen Polizeieinsatz gerufen wurde. Einen Moment schloss Terri die Augen und geriet in Panik:
Würde Laurie sich vergewissern, dass sie in den Bus einstiegen? Sie würde sie doch wohl nicht einfach auf dem Bürgersteig warten lassen
…
Terri schüttelte den Kopf. Dafür war ihre Freundin viel zu verlässlich.
Die Angst,
gab sie zu,
sitzt immer dicht unter der Haut und lauert nur darauf, durchzubrechen
.
Sie drückte auf den Einschaltknopf des Computers, und der Apparat ging blinkend an.
Bist du da, Jennifer? Was wirst du mir verraten?
Sie wusste, dass jede Minute, die verging, wertvoller war als die letzte. Sie wusste auch, dass sie auf das Plazet von oben hätte warten müssen, um den Laptop auszuloten. Aber das war ihr einerlei.
Michael war über alle Maßen mit sich zufrieden.
Nachdem er den gestohlenen Lieferwagen verbrannt hatte, war er auf der Autobahn zu einer Raststätte abgebogen. Zwischen einem McDonald’s und einem geschlossenen Joghurteis-Stand beobachtete er dort, eine Tasse Kaffee in der Hand, die Reisenden, die an ihm vorüberströmten, und wartete, bis er sicher sein konnte, dass niemand in der Damentoilette war. Er hatte mit einem Blick erfasst, dass es im Vorraum zu den Toiletten keine Sicherheitskameras gab. Dennoch hatte er die ganze Zeit eine dunkelblaue Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, so dass der Schirm sein Profil vor einer irgendwo versteckten Linse schützte.
Er zerknüllte den Kaffeebecher, warf ihn in den Abfalleimer und lief zur Tür mit der Aufschrift HERREN , um im letzten Moment in die benachbarte Tür auszuscheren. Er blieb nur wenige Sekunden – gerade lange genug, um Jennifer Riggins’ Bibliotheksausweis mit der Vorderseite nach oben neben einem WC zu plazieren, wo er wahrscheinlich von der nächsten Putzkolonne beim Wischen des Bodens aufgelesen würde. Er wusste zwar, dass sie den Ausweis vielleicht einfach in den Abfall werfen würden, doch mit ein bisschen Glück taten sie es nicht.
Wieder in seinem Truck, machte es sich Michael auf dem Fahrersitz bequem und zog einen kleinen Laptop heraus. Zu seiner Zufriedenheit stellte er fest, dass das Raststättengelände eine drahtlose
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