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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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er.
    Einer der Marines beugte sich herüber, klatschte Tommy auf den Schenkel und sagte: »Hast uns zu Scheiß-Internetstars gemacht!« Er lachte, während er das Gewehr im Anschlag hielt.
    Als der Wagen plötzlich schneller fuhr und über Trümmer holperte, wurde Adrian zur Seite geworfen. Er erhaschte einen Blick auf Lehm- und Ziegelbauten, auf schwarz verrußte und von schwerem Beschuss zerlöcherte Wände. An den Straßenrändern lagen die zersplitterten Überreste von Palmen. Aus einem Graben ragten ausgebrannte Autos und der bis zur Unkenntlichkeit verformte, noch rauchende Rumpf eines Panzers. Aus einer Luke hing eine verkohlte Leiche. Er hörte, wie jemand im Vorbeifahren murmelte: »Man soll sich nie mit den Fliegern anlegen …«
    Tommy beugte sich nach vorn und versuchte, über die Schulter des Fahrers einen guten Blickwinkel zu bekommen, während sie auf eine Gruppe schäbiger, niedriger Häuser zurasten. Staub und Rauch schienen allgegenwärtig, und Adrian wurde den Geruch nicht mehr los. Tommy filmte, sprach dabei jedoch mit seinem Vater. »Ich weiß, es ist ziemlich schlimm, aber man gewöhnt sich dran. Außerdem ist das nur das Kordit von den Explosionen und vielleicht ein bisschen brennendes Öl. Wart’s ab, bis du den Geruch von Leichen schnupperst, die ein paar Tage in der Sonne gelegen haben.«
    Er ließ die Kamera sinken. »Immerhin hab ich einen Preis gewonnen«, sagte er. »Ich hatte die ganze Sache im Kasten, von der Stelle, an der es uns erwischt, bis zu dem Feuergefecht. Sogar nachdem es mich erwischte, hatte ich noch den Finger am Abzug, und die Kamera hat weitergefilmt. Bevor die Aufnahmen ins Internet gestellt wurden – hast du gewusst, dass ich fast drei Millionen Mal aufgerufen wurde? –, hat der Moderator der Spätnachrichten alle zusammengetrommelt und eine schöne Rede gehalten. Du weißt schon, wo er darüber gesprochen hat, was es heißt, Kriegsberichterstatter zu sein, wie Frank Capra und Ernie Pyle, und die wirkliche Story in den Kasten zu kriegen. Er hat über die Jungs in Vietnam geredet – ein paar von denen sind wahrscheinlich mit Onkel Brian auf Patrouille gegangen. Diese Jungs sind mit nichts weiter als ihrer Nikon um den Hals oder einem Notizbuch in der Hand losgezogen und haben nicht mal Panzerwesten getragen.
    Der Moderator hat über Tradition und Berufsethos gesprochen, es klang bei ihm wie eine Art höhere Berufung, wie die Priesterweihe. Aber unter uns, Dad, ich meine, wir beide wissen, dass ich nur hier war, weil ich gerne gefilmt habe und weil ich das Abenteuer genossen habe, und da gibt’s nun mal nichts Besseres, als sich einem Trupp taffer Marines anzuschließen, selbst wenn es einen das Leben kostet.«
    »Ganz richtig. Eindeutig taff!«, brüllte der 50-Kaliber-Schütze gegen den Wind.
    »Tommy …«, würgte Adrian heraus.
    »Nein, Dad, du musst mir zuhören, weil ab jetzt alles schnell gehen wird. Ich versuche, später noch mal zu dir zu kommen, wenn es nicht so verwirrend ist. Aber vorher hab ich dir noch was Wichtiges zu sagen …«
    »Tommy, bitte …«
    »Nein, Dad, hör mir zu …«
    Der Humvee legte an Fahrt zu. Der Marine hinterm Lenkrad jauchzte auf und sagte: »Gleich ist die Kacke am Dampfen, Jungs. Haltet den Schwanz und die Eier fest, es geht los!« Adrian verstand nicht, wie Menschen, die tot waren, darüber reden konnten, wie sie sterben, bevor es passiert ist, auch wenn er wusste, dass es vor sechs Jahren tatsächlich passiert
war
. Er suchte an der Seite des Humvee Halt, als der Geländewagen in einen Haufen Sand und Dreck schlitterte. Neben ihm redete Tommy in ruhigem Ton weiter.
    »Geh noch mal durch, was dir klargeworden ist, als du die Enzyklopädie gelesen hast. Da findest du alles Wissenswerte. Du musst nur ein bisschen moderner denken.«
    »Aber Tommy …«, setzte Adrian an.
    Sein Sohn fuhr mit einem besorgten Gesichtsausdruck zu ihm herum. »Dad! Überleg mal, wieso ich gekommen bin …«
    »Du warst Dokumentarfilmer. Du durftest als ziviler Kriegsberichterstatter die Marines begleiten. Ich weiß noch, wie aufgeregt du warst …«
    »Mach nicht mehr draus, als es war.«
    »Tommy, du fehlst mir. Und deine Mutter, sie war danach nicht mehr derselbe Mensch … Es hat sie umgebracht.«
    »Ich
weiß,
Dad, ich weiß. Ich weiß, ein Kind zu verlieren – egal, in welchem Alter –, danach ist nichts mehr wie vorher. Deshalb ist Jennifer so
gottverdammt
wichtig.«
    »Aber ich sterbe, Tommy. Und …«
    Einer der Marines, der

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