Der Professor
ein Maschinengewehr im Anschlag hatte und aus dem Fenster des Humvee zielte, drehte sich um. »Hey, wir sterben alle, vom Tag unserer Geburt an. Krieg das auf die Reihe, Alter! Hör auf Tommy, der hat’s voll drauf.« Von den anderen Männern kam zustimmendes Gemurmel. Sie beugten sich alle über die Waffen.
»Jennifer, Dad. Konzentrier dich auf Jennifer. Ich bin nicht mehr. Mom ist nicht mehr. Onkel Brian ist nicht mehr. Und es gibt noch andere. Freunde. Verwandte. Hunde …«, lachte er, auch wenn Adrian nicht sehen konnte, was so komisch war. »Wir leben alle nicht mehr. Jennifer schon. Noch. Das muss ich dir nicht sagen. Du spürst es selbst. Irgendetwas in all den Büchern, all den Vorlesungen – irgendetwas sagt dir, wenn du ehrlich bist, dass sie noch lebt. Noch.«
»Mist, es ist so weit …«, sagte der Fahrer plötzlich.
Tommy packte seinen Vater am Knie. Adrian spürte den Druck. Er wollte verzweifelt die Arme um seinen Sohn werfen, ihn irgendwie vor dem beschützen, was im nächsten Moment passieren würde. Er streckte die Hände aus, doch sie griffen aus irgendeinem Grund zu kurz und fuchtelten hilflos in der Luft.
»Es geht ums Sehen, Dad. Es geht darum zu
zeigen,
was man macht. Daher kommt der Kick. Es da draußen vorzuzeigen, so dass es jeder sehen kann, das gibt einem Kraft. Es macht einen
hart
. Es ist erregend. Erinnerst du dich nicht, als du über das Pärchen gelesen hast, das vor fünfzig Jahren in England gemordet hat?
Fotos. Tonbänder.
Wieso haben sie das gemacht? Komm schon, Dad, das ist dein Metier. Du solltest es wissen …«
»Aber Tommy …«
»Nein, Dad, es ist so wenig Zeit. Es passiert jetzt gleich. Weißt du nicht mehr, wie ich dir mal erzählt habe, weshalb ich filmen will? Weil es die reinste Wahrheit ist. Wenn ich meine Filme machte, konnte
niemand
sagen, es sei nicht real oder wahr. Aus dem Grund haben wir es alle gemacht. Dank der Bilder, die wir festgehalten haben, sind wir über uns hinausgewachsen. Keine Lügen hinter einer Kamera, Dad. Gott! Es ist so weit!«
Adrian wollte etwas antworten, doch die Explosion zerriss die Luft. Der Humvee schien sich aufzubäumen, als gehörte er nicht mehr der Erde an. Im Nu füllte sich der Innenraum des Jeeps mit Rauch und Flammen, und die Druckwelle warf Adrian nach hinten. Wegen der plötzlichen Dunkelheit, die ihn einhüllte, glaubte er, ohnmächtig zu sein. All die Gerüche, all die Geschmäcker schienen sich zu verstärken, und in seinen Ohren ertönte ein schrilles Klingeln. Ihm war schwindelig. Er war von oben bis unten voller Sand und Staub. Er versuchte, sich nach Tommy umzusehen, doch zunächst konnte er nur bizarr verdrehte und verzerrte Gestalten erkennen. Wo Sekunden zuvor Marines gesessen hatten, sah er jetzt nur noch Körper, von der in der Straße versteckten Mine zu einem Fleischknäuel zermalmt, zerfetzt.
Dann plötzlich fand er sich, als hätte jemand die Ton- und Bildspur eines Films vorgespult, draußen wieder. Unter einem blassblauen Himmel, in erbarmungsloser Hitze und ohrenbetäubendem Lärm und etwas, das er zuerst für einen Insektenschwarm hielt, bis er begriff, dass es sich um kleinkalibriges Feuer handelte. Zu seinen Füßen war ein Marine, dem ein Bein fehlte und der schreiend zu einem niedrigen Lehmwall robbte. Adrian drehte sich, immer noch auf der Suche nach seinem Sohn, um die Achse. Er bemerkte den Lieutenant, der etwas ins Funktelefon brüllte, doch Adrian konnte nicht verstehen, was er sagte. Das Geräusch schien näher zu kommen. Und es gab ein Donnern von großkalibrigen Waffen, nachdem andere Humvees in der Kolonne das Feuer eröffnet hatten. Adrian hielt sich die Ohren zu und schrie: »Tommy! Tommy!«
Er drehte sich um und entdeckte seinen Sohn. Tommy blutete stark aus den Ohren. Sein Bein war gebrochen; er zog es nutzlos hinter sich her. Aber so wie man es ihnen erzählt hatte, filmte er. Er hatte die Kamera geschultert, als wäre sie seine einzige Waffe, und er hielt das Feuergefecht fest.
Adrian merkte, dass ihm der Mund offen stand. Er wollte den Namen seines Sohnes brüllen, brachte aber keinen Ton heraus. Er sah, wie Tommy die Kamera auf den Lieutenant schwenkte, der in einer staubigen Blutlache lag. Adrian hörte das Kreischen nahender Kampfjets, er blickte auf und sah, wie eine Formation Warthogs im Tiefflug nahte. Sie hatten die Sonne hinter sich und wirkten wie schwarze Tupfer über dem Horizont. Adrian stand mitten im Kugelhagel und in den Detonationen, doch plötzlich
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