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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sagen
würde
 – wären sie noch am Leben. Ihm war klar, dass alle diese Dinge, die ihm real erschienen, in Wahrheit daher rührten, dass in seinen eigenen Stirnlappen das chemische Gleichgewicht durcheinandergeraten war, so dass es zu Kurzschlüssen und Abnutzungserscheinungen kam. Dennoch waren sie eine Hilfe, und mehr konnte er nicht verlangen.
    Eine Stimme unterbrach seine Tagträumereien. »Was sagt uns das?«
    Adrian blickte von seinem Schreibtisch auf und sah Cassie in der Tür zu seinem Arbeitszimmer stehen. Sie wirkte blass, alt und niedergedrückt. Sie hatte diesen traurigen Ausdruck in den Augen, den er aus den Tagen vor ihrem Unfall in Erinnerung hatte, als sie vor Kummer nicht mehr sie selbst war. Verschwunden war die attraktive, schlanke und verführerische Cassie aus ihren ersten Ehejahren. Hier stand die müde, kranke Frau, die verzweifelt darauf wartete zu sterben. Als er sie so sah, stockte Adrian der Atem, und er wollte zu ihr durchdringen, sie irgendwie trösten, obwohl er wusste, dass ihm das in ihren letzten gemeinsamen Monaten kein einziges Mal gelungen war.
    Er merkte, wie ihm die Tränen aufstiegen, und so ignorierte er ihre Frage und versuchte, etwas zu sagen, zu dem er sich vor ihrem Tod hätte aufraffen sollen. Vielleicht hatte er es ja auch hundertmal gesagt, und es hatte nur keinen Widerhall gefunden.
    »Cassie«, fing er behutsam an. »Es tut mir so leid. Niemand, weder du noch ich, noch sonst irgendjemand, hätte irgendetwas daran ändern können. Er hat genau das getan, was er tun wollte …«
    Sie wischte die Entschuldigung mit einer einzigen Handbewegung weg. »Ich hasse das«, sagte sie brüsk. »Diesen Selbstbetrug, wir hätten nichts dagegen unternehmen können. Es gibt immer etwas, was irgendjemand hätte tun oder sagen können. Und Tommy hat immer auf dich gehört.«
    Adrian schloss die Augen. Er wusste, wenn er sie wieder öffnete, würden sie automatisch zu einem anderen Foto auf der Ecke seines Schreibtischs wandern: dem seines Sohnes in Barett und Talar bei seiner Abschlussfeier unter strahlend blauem Himmel. Der Inbegriff einer verheißungsvollen Zukunft.
    Er hörte, wie sich Cassies Stimme unerbittlich in die ersten schmerzlichen Erinnerungen drängte. Zögernd wandte er sich ihr zu. Sie war bestimmt und duldete keinen Widerspruch – wie immer, wenn sie wusste, dass sie im Recht war. Nur selten hatte er ihr das verübelt, vielmehr in diesem Wesenszug das Vorrecht des Künstlers gesehen. Überspitzt gesagt, hatte man ein Anrecht auf seine eigene Meinung, wenn man wusste, wo man unwiderruflich auf einer weißen Leinwand die erste farbige Linie zog, etwas, wozu er selber nie den Mut gehabt hätte.
    »All diese Bücher und Computer-Recherchen – was sagt uns das?«, wiederholte sie ihre Frage.
    Adrian rückte sich die Lesebrille auf der Nasenspitze zurecht – die Version des Akademikers von entschlossenem Handeln. »Da steht, dass sie zusammen fünf Menschen getötet haben.«
    Er zögerte. »Fünf Menschen, soweit die Polizei im ländlichen England sie identifizieren konnte. Es könnten mehr gewesen sein. Manche Kriminologen gehen eher von acht aus. Die Zeitungen dort – es war 1963 oder 64 – haben es das
Ende der Unschuld
genannt.«
    »Menschen?«
    Adrian schüttelte den Kopf. »Du hast recht, ich sollte genauer sein.
Kinder.
Im Alter von zwölf bis sechzehn oder siebzehn Jahren.«
    »Das ist ungefähr Jennifers Alter.«
    »Stimmt. Aber das ist wohl eher Zufall.«
    »Ich dachte, in deinen Vorlesungen hättest du Zufälle immer gehasst und behauptet, die kämen so gut wie nie vor. Psychologen wollen Erklärungen, keine Zufälle.«
    »Vielleicht die Freudianer.«
    »Adrian, ich bitte dich.«
    »Tut mir leid, sollte ein Witz sein.« Er warf seiner toten Frau ein schwaches Lächeln zu. Sie war zwischen Tür und Angel stehen geblieben, wie sie es oft tat, wenn sie ihn einerseits nicht bei der Arbeit stören wollte, aber andererseits eine Antwort auf eine Frage brauchte. Dann verharrte sie auf der Schwelle, als würde sie ihn weniger stören, wenn sie ein wenig Abstand hielt.
    »Willst du nicht reinkommen?«, fragte er und deutete auf einen Sessel.
    Cassie schüttelte den Kopf. »Ich hab zu viel zu tun.«
    Er sah sie wohl ein wenig betroffen an, denn sie fuhr in milderem Ton fort. »Audie«, sagte sie bedächtig, »Du weißt, dass dir nicht viel Zeit bleibt. Weder dir noch Jennifer.«
    »Ja«, räumte er ein. »Ich weiß.« Er überlegte. »Es geht nur

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