Der Professor
darum …«
»Nur um was?«
»Es geht darum, Informationen in die Tat umzusetzen. Diese beiden – die Moormörder, Brady und Hindley – kamen ins Schleudern, als sie versuchten, noch jemand anderen in ihre Perversionen einzubeziehen, und der Kerl, den sie ins Boot holen wollten, hat die Polizei gerufen. Solange sie unter sich waren, voneinander zehrten, konnte ihnen nicht viel passieren. Erst als sie jemand anderen beeindrucken wollten, jemanden, der sich als nicht ganz so gemeingefährlich pervers erwies, wurden sie geschnappt.«
»Erzähl weiter«, sagte Cassie. Ein zartes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Sie spornte ihn an.
Adrian wusste, dass es in ihrer Beziehung immer so gewesen war. Die Künstlerin in ihr zog ihm den Kopf aus den Wolken; fand eine praktische Anwendungsmöglichkeit für all seine Arbeit im Labor. Adrian spürte eine Woge der Leidenschaft. Wie hätte er auch nicht die Frau lieben sollen, die seinen Ideen einen Sinn verlieh? Er war plötzlich aufgewühlt, und wie bei so vielen Gesprächen bei Tisch, im Garten, am Kamin kam er in Schwung.
»Die Psychodynamik von Mörderpaaren ist immer schwer zu fassen. Offensichtlich gibt es immer eine übermächtige sexuelle Komponente. Aber die Verbindung scheint tiefer zu gehen. Das versuche ich gerade zu verstehen. Beziehungen sind immer ein wechselseitiger Prozess, das heißt, etwas wird äußerlich verarbeitet, diskutiert, analysiert – und so weiter. So sieht es jedenfalls aus. Aber es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu, was mit Beflügeln, Ermächtigen zu tun hat und beängstigend ist. Es geht über ein bloßes Einverständnis weit hinaus – es hat mit einem dunkleren, elementareren Kräftespiel zu tun.«
Cassie schnaubte, doch ihr Grinsen blieb. Sie blieb im Türrahmen, deutete aber auf die Bücher. »Geh nicht alles mit dem Verstand an, Adrian«, sagte sie, und er musste zum zweiten Mal schmunzeln. Ihr Tonfall brachte all die Jahre zum Klingen, die sie zusammen verbracht hatten. »Wir sind hier nicht in der Universität. Du hast am Ende weder einen Aufsatz zu schreiben noch einen Vortrag zu halten. Es geht nur um ein kleines Mädchen, das entweder tot oder lebendig sein wird.«
»Aber ich muss es doch verstehen …«
»Ja. Aber nur, damit du handeln kannst«, sagte Cassie.
Er nickte und winkte sie herein. »Komm schon«, flüsterte Adrian. »Leiste mir Gesellschaft. Das ganze Zeug hier …«, er wischte mit einer Handbewegung über die Enzyklopädie, »das macht mir Angst.«
»Das sollte es auch.« Cassie blieb im Türrahmen stehen.
»Dieser Fall – das ist in den 1960ern passiert …«
»Und? Was ist heute anders?«
Er antwortete nicht, sondern dachte nur:
Wir sind heute weniger naiv als damals.
Cassie musste den Gedanken gehört oder mitbekommen haben, denn sie unterbrach ihn sofort. »Nein. Die Menschen haben sich nicht geändert. Nur die Mittel.«
Adrian war erschöpft, von alledem, was er über eine Reihe von Morden erfahren hatte, ausgelaugt. »Wie kann ich eine Form des Verständnisses – du weißt schon, das aus den Büchern – in eine andere Form – praktisches Handeln – ummünzen, die mir hilft, Jennifer zu finden?«, fragte er.
Cassie lächelte. Er sah, wie ihr Gesicht sich entspannte. »Du weißt, wem du diese Frage stellen solltest«, sagte sie.
Adrian wippte ein wenig auf seinem Stuhl und dachte, sie meinte Brian. Außerdem fragte er sich, was genau er tun musste, um eine seiner Halluzinationen bewusst und nach Bedarf herbeizuführen, wenn er sie brauchte, um sich sagen zu lassen, wo’s langging.
Er betrachtete die geballten Informationen über die Morde und schob den ganzen Wust von sich, nicht weit, aber ein paar Zentimeter auf dem Schreibtisch zurück, als könnte er verhindern, sich damit zu infizieren, indem er den Kontakt mied. Er drehte sich zu einem Bücherregal um und griff an Fachtexten und Lehrbüchern vorbei in eines seiner Fächer mit Lyrik. In all den vollgestopften Bücherregalen in sämtlichen Zimmern des kleinen Hauses war mindestens ein Fach für Lyrikbände reserviert, da er nie im Voraus wusste, wann er eine Dosis verdichtete Sprachkunst brauchte.
Adrian ging mit den Fingern die Buchrücken durch. Er wusste nicht, wonach er suchte, sondern verspürte nur den übermächtigen Drang, das richtige Gedicht zu finden.
Etwas, das zu meiner Stimmung und meiner Situation passt,
dachte er.
Seine Hand schwebte über einer Anthologie der »Kriegsdichter«, all dieser todgeweihten
Weitere Kostenlose Bücher