Der Professor
dosierte Spannung erzeugte und mit Serie Nummer 4 ein packendes Drama inszenierte.
Michael war für die Geschichte von Nummer 4 verantwortlich, Linda fürs Geschäft. Beides schien für ihren Erfolg gleichermaßen wichtig. Ihre Beziehung war nach Lindas fester Überzeugung der Inbegriff wahrer Liebe. In ihrer Freizeit und zwischen den verschiedenen Serien las sie gerne Woche für Woche die Fan- und Klatschmagazine über Filmstars mit ihren Partnern. Sie erging sich allzu gerne in Spekulationen darüber, was Brad oder Angelina oder Jen oder Paris als Nächstes machen würden und wo sie sich vielleicht in einer kompromittierenden Situation ertappen ließen. Dass sie all dieses »Bäumchen, wechsle dich« der Promis fasziniert verfolgte, war sicher ihre größte, wenn auch letztlich harmlose Schwäche.
An vielen Tagen sehnte sich Linda danach, selbst berühmt zu sein. Sie stellte sich vor, wie über sie beide Artikel in
Us
oder
People
stehen würden, wenn die Menschen nur wüssten, wie erfolgreich Whatcomesnext.com war. Ein Jammer, dass der kriminelle Einschlag ihres Geschäfts sie daran hinderte, berühmt zu sein. Ihrer Meinung nach war das, was sie machten, so viel wichtiger als die Frage, mit wem sie es machten, dass ihre Arbeit einen anderen Maßstab erforderte. Sie waren Verkäufer von Phantasie
.
Das,
fand sie,
sollte ein bisschen mehr zählen als Geld
. Eigentlich
waren
sie Stars, nur dass es die Welt nicht wusste.
Michael wusste, dass Linda davon träumte, prominent zu sein. Er dagegen bevorzugte die Anonymität – auch wenn er den Wunsch hatte, ihr zu gefallen. »Es wird Zeit, ihr was zu essen zu geben«, sagte er.
»Du oder ich?«, fragte Linda.
Michael reckte sich über die Monitore und kramte in einem Stoß loser Blätter. Sie enthielten ein sehr flexibles Drehbuch. Michael überließ nicht gerne etwas dem Zufall; schon lange bevor sie mit Serie Nummer 4 begannen, hatte er sich die Zeit genommen und viele Handlungselemente aufgeschrieben. Seine Blättersammlung, die er »Wirkung Zuschauer/Wirkung Nummer 4« betitelt und in Paragraphen eingeteilt hatte, enthielt Checklisten und genaue, praktische Anweisungen. Er war gerne penibel in seiner Planung, zugleich aber geistig beweglich und kreativ.
An der Uni hatte er einmal einen Kurs in Filmwissenschaft belegt und ein Referat über den Moment geschrieben, in dem Eva Marie Saint in
Die Faust im Nacken
ihren weißen Handschuh fallen lässt und Marlon Brando ihn aufhebt: Der Regisseur Elia Kazan war so klug gewesen, die Kameras bei dieser Szene, die nicht im Drehbuch stand, aber ein Klassiker in der Filmgeschichte wurde, weiterlaufen zu lassen.
Ich hätte es genauso gemacht,
sagte sich Michael oft. Er war nicht der Mann, der
Schnitt!
brüllte und sich auf das Vorhersehbare zurückzog. Er war nicht festgefahren. Als er auf den Bildschirm vor ihm blickte und sah, wie Nummer 4 ihren Teddy an sich drückte, während sie schluchzte, dachte er, dass all die großen Regisseure ihm nicht das Wasser reichen konnten, denn er gestaltete etwas Einmaliges, etwas Reales und etwas unendlich viel Dramatischeres und Unkalkulierbareres, als sie es je für möglich gehalten hätten.
»Ich denke, du gehst«, sagte er. »Sie scheint immer noch solche Angst zu haben. Wenn ich den Raum betrete – das sollten wir uns für den maximalen Schockeffekt aufsparen.«
»Du bist der Boss«, sagte Linda.
»Klar doch«, lachte Michael. Er rollte vom Computertisch weg und stand auf, um zu dem Tisch mit den Waffen hinüberzugehen. Er suchte einen Moment, dann griff er nach einem Colt Kaliber 357 Magnum. Linda nahm ihm die Waffe ab, während Michael sich wieder seinen Papieren zuwandte und sie rasch durchblätterte. »Hier«, sagte er. »Lies mal.«
Linda überflog die Seite. »Okie-dokie«, sagte sie grinsend. Dann sah sie auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. »Ich denke, ich geb ihr Frühstück«, sagte sie.
Linda öffnete leise die Tür und trat in den Keller. Sie trug wie zuvor einen zerknitterten weißen Schutzanzug und eine schwarze Sturmhaube, die alles außer den Augen bedeckte. Sie hatte ein Tablett in der Hand, wie man es in jeder Cafeteria bekam. Darauf stand eine Plastikwasserflasche, von der sie alle Marken- und Fabrikatsaufkleber abgelöst hatte. Sie hatte eine Schale Fertighaferbrei bereitet und dazu ein amerikanisches Produkt verwendet, das in alle Welt exportiert wurde. Dazu gab es eine Orange. Kein Besteck.
Nummer 4 fuhr in ihre Richtung herum und erstarrte,
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