Der Professor
Menschen auf der Welt waren, alle anderen waren verkorkst und pervers. Sie hatten einander. Ihre Schultern zuckten, als ihr ein wohliger Schauder den Rücken herunterrieselte. Jede Minute, die Serie Nummer 4 lief, brachte sie und Michael einander näher. Es war, als lebten sie beide auf einer völlig anderen Wellenlänge. Alles war erotisch. Alles Phantasie. Die Gefahr erregte sie.
Linda drehte sich wieder zum Bildschirm um und tippte ihre Antwort zu Ende, die sich darauf beschränkte:
Heute lebt Nummer 4 – aber was geschieht morgen?
Sie drückte auf die Sendetaste, und die Antwort begab sich in den Cyberspace und zu Tausenden Subscribern.
Sie erhob sich von der Reihe Monitore und warf einen letzten Blick auf Nummer 4. Das Mädchen war wieder auf dem Bett und drückte ihren Stoffbären an sich. Linda sah, dass sie die Lippen bewegte, als redete sie mit dem Plüschtier. Sie drehte die Raummikrofone auf volle Lautstärke, doch es war nichts zu hören. Linda begriff, dass Nummer 4 nicht laut sprach. Sie zeigte auf den Bildschirm mit der Live-Einspeisung. »Siehst du das?«, sagte sie zu Michael.
Er nickte. »Sie ist wirklich vollkommen anders als die ersten drei«, bescheinigte er.
»Ja«, sagte Linda. »Sie heult nicht und jammert nicht und schreit nicht und …« Sie sprach nicht weiter, sondern betrachtete erneut das Bild von Nummer 4. »Jedenfalls
nicht mehr
.«
Michael schien angestrengt nachzudenken. »Wir müssen uns mehr für sie einfallen lassen, weil sie so viel …« Auch er brachte den Satz nicht zu Ende. Ihnen beiden war bewusst, dass sich Nummer 4 entschieden von 1 bis 3 abhob, doch sie konnten beide nicht sagen,
wodurch
.
Linda drehte sich um und schritt im Zimmer auf und ab. »Wir müssen vorsichtig sein«, wiederholte sie und ballte die Hände zu Fäusten. »Wir müssen ihnen mehr bieten, damit sie es auskosten können. Andererseits auch nicht zu viel, weil es sonst zu hart wird, wenn wir sie schließlich …«
Sie brauchte den Satz nicht zu Ende zu führen. Michael war das Dilemma nur allzu sehr bewusst.
Es ist nicht gut, wenn die Leute sich zuerst in etwas verlieben und ihm dann beim Sterben zusehen.
»Es liegt daran, dass sie jung ist«, sagte er. »Dass sie so …«, er zögerte und fügte dann hinzu, »so unverbraucht ist.«
Linda wusste genau, was er meinte. Von ihr stammte die Idee,
jemanden ohne Kanten und Ecken
zu finden, doch sie hatte nicht erwartet, dass Nummer 4 sich allzu sehr von den anderen absetzte. Jetzt hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, dass Nummer 4 ungleich besser, ungleich klüger und ungleich faszinierender war, auch wenn sie die Gründe dafür bestenfalls erahnen konnte.
Sie trat vor und schlang die Arme um ihren Geliebten. Sie merkte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Es war nicht so wie spätnachts, wenn er zu ihr unter die Decke kroch und sie, so erschöpft sie beide waren, bedrängte. Es war auch anders als die Befriedigung über ihren Erfolg, wenn sie ihre Einkünfte zusammenzählte.
Das hier war etwas Ungewöhnliches. Bei Nummer 4 betraten sie Neuland, die Erfahrung mit ihr war etwas Einmaliges, das ihre Erwartungen und Vorstellungen überstieg. Linda zitterte vor Erregung. Risiko, sagte sie sich, war wie Liebe.
Michael schien dasselbe zu empfinden. Er beugte sich plötzlich vor und berührte zart und suggestiv ihre Lippen. Sie zog ihn augenblicklich zu sich auf ihr Bett. Sie waren wie Teenager, lachten, kicherten vor Euphorie und in dem Hochgefühl, dass sie Künstler waren und etwas schufen, das weit über die Wahrheit hinausging.
Ihre eigene Leidenschaft verdrängte alles andere aus ihrem Bewusstsein, denn hätten sie aufgepasst, dann wäre ihnen die Instant Message nicht entgangen, die in diesem Moment aus Schweden kam. Ein Kunde mit dem Namen Blond9Inch schrieb eine einzige Zeile in seiner eigenen Sprache, die keiner von beiden verstand. »Sie hat ihre Augenbinde gelupft. Ich glaube, sie hat gespinkst …«
Es folgten Dutzende andere und weitaus vorhersagbarere Nachrichten in vielen verschiedenen Sprachen mit Kommentaren zum Körper von Nummer 4 und Vorschlägen, was Linda und Michael in nächster Zukunft damit machen sollten, und so ging Blond9Inchs aufmerksame Beobachtung unter.
25
E s mochte Adrian überraschen, dass Mark Wolfe, dreifach überführter Sexualstraftäter und zwanghafter Exhibitionist, so normal klang, keineswegs aber die Kripobeamtin neben ihm.
»Ich hab nichts getan«, wiederholte Wolfe. »Und wer ist das?« Er zeigte
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