Der Profi
Herumstehen am Förderband der Gepäckausgabe, mit dem Millionen von Reisenden täglich zu kämpfen haben. Auf der Suche nach einem Taxi verließ ich zügig den Terminal. Ich stieg in einen senffarbenen Hyundai ein, dessen Inneres eine explosive Mischung aus Kiefern- und Pfefferessenzen verströmte, und wies den Fahrer an, mich ins Stadtzentrum zu bringen. Genauer gesagt: ins Luxushotel Four Seasons . Dort erwarteten mich zwei Kollegen aus Nordossetien und der bereits erwähnte Herz-Bube .
Der Lärm und das Getöse Istanbuls standen in krassem Gegensatz zu dem Ort, an dem ich die letzten Monate verbracht hatte: einer Südseeinsel, die mir nach den brutalen Ereignissen des Vorjahres in Madrid und Valencia zum Refugium geworden war. Ich war mit mehreren Knochenbrüchen, die mir zwei bulgarische Totschläger beigebracht hatten, und einer Kugel in der Schulter (ein Abschiedsgeschenk vom Leibwächter meines Exchefs) aus Spanien geflohen. Anschließend lebte ich eine Zeit lang in einem polynesischen Paradies, auf einer der zahlreichen Koralleninseln, die der Südpazifik aufzuweisen hat. Mit Bungalowdörfern und Einheimischen, die ei nem freundlich zulächeln, weißem Sandstrand, täglich frischem Fisch und Sonnenuntergängen, die einem den Atem rauben. Ich hatte eine der unauffälligsten Inseln gewählt. Von dort aus versuchte ich, einen Großteil meines auf geheime Konten und über ein halbes Dutzend Länder verteilten Geldes zurückzugewinnen. Geld, das ich über Jahre hinweg mit viel Schweiß und Blut zusammengespart hatte. (Der Schweiß war meist mein eigener, das Blut ließen in der Regel andere.)
Auf der Insel traf ich auch meinen alten Freund Lucio wieder, der sich schon vor längerer Zeit dem Lärm des Alltags entzogen hatte und nun Inhaber einer Tauchschule war, in der Amerikaner in Hawaiihemden und Nike Sandalen, Deutsche mit sonnenverbrannten Bäuchen und lautstarke italienische Touristen ein und aus gingen.
Für mich war es der ideale Ort, um mich vor der Polizei und meinen eigenen Schreckgespenstern zu verkriechen. Ein paar Monate war ich also frei, wusste nichts vom Elend der modernen Welt, von Habgier, der Jagd nach dem Geld und den Spielregeln korrupter Politiker. Doch dann zog es mich wieder zurück zu meinem Brotberuf. Lucio blieb auf der Insel, und wenn ich wieder einmal von der Bildfläche verschwinden muss, weiß ich, dass ich jederzeit bei ihm untertauchen kann.
Manche behaupten, ich hätte für die übelste Sorte Männer gearbeitet, die es auf der Welt gibt. Doch ich bestehe darauf: Das Gute und das Schlechte hängen immer von der Perspektive dessen ab, der darüber urteilt. Nur weil jemandes Firma an der Börse notiert ist oder er selbst zu den Happy 500 gehört, bedeutet das noch lange nicht, dass er eine »rechtschaffene Person« ist. In der Welt der großen Unternehmen laufen mehr skrupellose Gauner herum als in allen Mafiaorganisationen zusammen. Na schön, ich gebe Ihnen wieder einmal Recht: Ich übertreibe! Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn ich zuerst meine eigene Fraktion verteidige …
Jeder, der ein Problem hat, kann meine Dienste in Anspruch nehmen. Ich erledige meine Arbeit schnell, effizient und diskret. Und genau aus diesem Grund war ich nach Istanbul gekommen. Ich sollte mich um eine äußerst heikle Angelegenheit kümmern, die der Russenmafia aus dem Ruder zu laufen drohte: der Verkauf des schon erwähnten Herz-Buben . Oh Istambul …! 13-Millionen-City am Bosporus, an der Grenze zwischen Orient und Okzident, hin- und hergerissen zwischen den Kulturen. Wenngleich nicht die Hauptstadt der Türkei, so doch ihre wichtigste Metropole und ihr Finanz- und Wirtschaftszentrum. Ja, Istanbul steckt voller Kontraste. Westliche Bräuche vermischen sich hier mit strenger muslimischer Tradition: Mädchen in Miniröcken spazieren ebenso über den Basar wie verschleierte Frauen im traditionellen Tschador , der gerade noch einen Schlitz für die Augen freilässt. Neben tausendjährigen Moscheen erheben sich die Wolkenkratzer des Finanzdistrikts in luftige Höhen. Elegant gekleidete Geschäftsleute mit iPods und BlackBerrys gehen Seite an Seite mit Schuhputzern, die ihr kupfernes Handwerkszeug mit sich herumschleppen; und der Gesang des Abendgebets vermischt sich unweigerlich mit den Raprhythmen angrenzender Bars und Modelokale.
Das taksi , in das ich eingestiegen war, verlor sich im dichten Freitagnachmittagsverkehr und schlängelte sich entlang der Kennedy-Caddesi-Straße, die parallel
Weitere Kostenlose Bücher