Der Prometheus-Verrat
Menschenleben gefordert hatte. Noch am selben Tag war Stunden später, wie er sich erinnerte, ein Passagierflugzeug kurz nach dem Start vom Kennedy Airport mit 170 Passagieren an Bord in der Luft explodiert.
Die amerikanische Öffentlichkeit war entsetzt. Der Präsident hatte daraufhin empfohlen, den Weg freizumachen für die Unterzeichnung jenes internationalen Sicherheitsabkommens, das bislang vom Senat missbilligt worden war. Nach Lille würden bestimmt auch die europäischen Staaten auf verschärfte Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus drängen und für mehr Kontrolle plädieren.
Kontrolle.
Ob darin der Grund und die Absicht des ganzen Wahnsinns lag, für den sich das Direktorat stark machte? Ein schurkischer Geheimdienst, der hinter den Kulissen seine Fäden spann und nun versuchte, jene Kontrolle zurückzugewinnen, die dem Rest der Welt entglitten war?
Verdammt, das waren doch abwegige Spekulationen, Schlussfolgerungen aus haltlosen Prämissen. Unbeweisbar, schwammig, unzureichend. Aber immerhin deutete sich nun eine Antwort auf Dunnes anfängliche Frage und ein Grund dafür an, warum ihn der CIA-Mann aus seinem beschaulichen Alltag als College-Dozent herausgeholt und gezwungen hatte, Ermittlungen aufzunehmen. Es war an der Zeit, Harry Dunne reinen Wein einzuschenken und ihm von seinen Erkenntnissen zu erzählen. Auf unumstößliche Beweise für die finsteren Machenschaften des Direktorats zu warten, würde bedeuten, ein weiteres Lille in Kauf zu nehmen, und das durfte einfach nicht sein. Oder mussten wirklich noch einmal Hunderte von Menschen ihr Leben lassen, ehe die CIA aktiv wurde?
Und doch …
Das größte Teilstück des Puzzles fehlte noch.
» Weiß Elena Bescheid? «, hatte Vansina gefragt. Anscheinend wusste man im Direktorat nicht, wo sie sich zurzeit aufhielt und wem ihre Loyalität galt. Sie ausfindig zu machen, war wichtiger denn je, denn die Frage – Weiß Elena Bescheid? –
implizierte, dass sie möglicherweise über ganz entscheidende Informationen verfügte, Informationen, die nicht nur ihr Verschwinden erklären, sondern auch Auskunft über die wahren Intentionen des Direktorats geben würden.
»Sie wissen etwas.« Laylas Stimme klang feststellend.
Erst jetzt registrierte er, dass sie schon eine Weile mit ihm gesprochen hatte. Er drehte sich zu ihr um. Hatte sie denn Arnauds Andeutung auf Lille nicht mitbekommen? Offenbar nicht.
»Ich habe da eine Vermutung«, sagte er.
»Und die wäre?«
»Ich müsste mal kurz telefonieren.« Er drückte ihr die Zeitung in die Hand. »Bin gleich wieder zurück.«
»Wen wollen Sie anrufen?«
»Geben Sie mir ein paar Minuten, Layla.«
Sie hob die Stimme. »Sie verheimlichen mir etwas. Was haben Sie vor?«
Er erkannte Verunsicherung in ihren schönen Augen, und noch etwas: Verletzung und Ärger. Sie hatte Grund, verärgert zu sein. Anstatt sich für ihre Hilfe erkenntlich zu zeigen, ließ er sie im Dunklen tappen. Das war nicht nur ärgerlich, sondern auch und vor allem inakzeptabel, bedachte man, wie viel sie als Agentin leistete.
Er zögerte und sagte dann: »Lassen Sie mich kurz telefonieren. Danach werde ich Sie in alles einweihen. Aber seien Sie gewarnt, ich weiß längst nicht so viel, wie Sie meinen.«
Sie legte ihm freundschaftlich eine Hand auf den Arm, bedankte sich, äußerte Verständnis und sagte, dass er ihr voll und ganz vertrauen könne. Er war gerührt und hätte ihr beinahe einen Kuss gegeben, auf die Wange, zärtlich, aber frei von sexuellem Hintersinn, einfach nur, um auszudrücken, dass er ihr für ihre tapfere Unterstützung sehr dankbar war.
Er ging bis zur nächsten Ecke und bog in eine Seitenstraße ein, die vom Place Bel-Air wegführte. Da war ein kleiner Tabakladen, der außer Zigaretten und Zeitungen auch Telefonkarten verkaufte. Dann suchte er eine Telefonzelle auf, wählte 011, dann eine 0 sowie eine fünfstellige Nummer. Auf
ein elektronisches Signal hin wählte er eine Folge von sieben weiteren Ziffern.
Die Rufnummer stellte die Verbindung mit einem abhörsicheren Anschluss in Dunnes CIA-Büro beziehungsweise bei ihm zu Hause her. Dunne hatte ihm garantiert, dass nur er persönlich über diesen Anschluss zu erreichen war.
Es klingelte nur ein einziges Mal.
»Hallo Bryson.«
Bryson stutzte. Die Stimme war ihm unbekannt; jedenfalls war es nicht Dunne. »Wer ist da?«, fragte er.
»Graham Finneran. Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin.«
Während ihrer letzten Begegnung in seinem Büro hatte Dunne den
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