Der Prometheus-Verrat
herumführen. Sie glauben seinen Lügengeschichten. Haben Sie denn keine Ahnung, Prospero? Wir waren Marionetten, Arbeitstiere – programmierte Automaten. Wir haben blindlings agiert, ohne zu wissen, wer unsere Anführer in Wirklichkeit sind, was tatsächlich auf der Agenda steht.«
»Natürlich gibt es Dinge, über die wir nichts wissen und nichts wissen sollen«, antwortete Vansina ernst. »Wie auch immer, die Welt ändert sich, und wir müssen uns mit ihr verändern, uns an neue Realitäten anpassen. Was hat man Ihnen gesagt, Bryson? Mit welchen Lügen sind Sie gefüttert worden?«
»Apropos ›neue Realitäten‹ …« Bryson verschlug es die Sprache, als er plötzlich vor den getönten Fensterscheiben ein unheimliches, riesiges Gebilde schweben sah, das wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien. Erst als die Scheiben zersplitterten, erkannte er den Hubschrauber, aus dem mit einem Maschinengewehr scheinbar wahllos geschossen wurde. Ein Hagelsturm aus Glassplittern wirbelte durch den Raum.
Bryson warf sich zu Boden und suchte Deckung unter dem langen Konferenztisch, doch Vansina, der, am anderen Kopfende sitzend, dem Fenster sehr viel näher war, hatte keine Chance mehr. Seine Hände flogen seitlich hoch, als versuchte er, wie ein Vogel zu fliegen. Dann fing sein ganzer Körper auf groteske Weise zu tanzen an. Die Kugeln schlugen in seinen Kopf ein, in die Brust; fingerdicke Blutfontänen spritzten aus seinem Körper, und aus seinem verwüsteten Gesicht gellte ein entsetzlicher, kehliger Schrei, der im Maschinengewehrfeuer und dem Lärm des knatternden Rotors unterging. Der Wind fegte durch das Konferenzzimmer, Tausende von Kugeln durchlöcherten Tisch und Teppich,
hämmerten den Putz von den Wänden. Aus seiner Deckung heraus sah Bryson, wie es Vansina ein Stück in die Luft hob, ehe er auf den grauen Teppich stürzte, ein blutiger Torso mit verrenkten Gliedmaßen und ohne Hinterkopf. Dann zog der Hubschrauber, genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war, wieder ab. Der Lärm verebbte, und außer den normalen Verkehrsgeräuschen von tief unten aus der Straßenschlucht hörte man nur den Wind, der durch das zersplitterte Fenster über das unheimlich stille Schlachtfeld zog, das die Schießerei hinterlassen hatte.
Vierzehntes Kapitel
A uf der Flucht vor diesem Albtraum aus Blut und Splittern rannte Bryson durch den Flur, in dem sich bereits entsetzte Bankangestellte drängten. Alles schrie durcheinander, auf Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch.
»Oh, mein Gott!«
»Was ist passiert? Waren das Terroristen?«
»Sind sie im Haus?«
»Ruf doch jemand die Polizei, die Feuerwehr, schnell !«
»Herrje, der Mann ist tot. Und schrecklich zugerichtet.«
Bryson lief weiter. Er dachte an Layla. Nicht auch noch sie! Hatte der Hubschrauber womöglich das Haus umkreist, um alle Fenster der 27. Etage aufs Korn zu nehmen?
Und er dachte: Jan Vansina war das eigentliche Ziel des Anschlags. Nicht ich. Vansina. So muss es gewesen sein . Er versuchte, in dem Wust aus Bildern, die ihm, wie durch ein Kaleidoskop betrachtet, durch den Kopf schwirrten, klar zu sehen. Ja. Der Schütze an Bord des Hubschrauber hatte es eindeutig und einzig und allein auf Vansina abgesehen. Das war kein wahlloser Anschlag gewesen, der einfach nur Angst machen sollte. Vielmehr war der Agent des Direktorats gezielt und aus drei verschiedenen Winkeln unter Beschuss genommen worden.
Aber warum ?
Und durch wen? Das Direktorat würde doch nicht einen seiner eigenen Männer ausschalten, oder? Fürchtete man etwa, dass Vansina einem alten Kollegen geheime Informationen anvertrauen würde?
Nein, das war aus der Luft gegriffen und ergab keinen Sinn. Die Gründe für den Anschlag blieben im Verborgenen. Immerhin stand für Bryson so gut wie fest, dass genau derjenige dem Anschlag zum Opfer gefallen war, dem er auch gegolten hatte.
In solche Gedanken und Zweifel vertieft, entdeckte er schließlich Bécots Büro. Er stieß die Tür auf – und fand den Raum verlassen vor.
Weder Layla noch der Banker waren hier. Er wollte schon wieder kehrtmachen, als ihm auffiel, dass auf dem Kaffeetisch eine Espressotasse umgekippt war und vor dem Schreibtisch einige Papiere auf dem Boden verstreut lagen. Zeichen, die auf einen überstürzten Aufbruch oder sogar auf ein kurzes Handgemenge hinwiesen.
Von irgendwoher drangen gedämpfte Laute an sein Ohr, ein dumpfes Pochen, Rufe. Er sah sich im Büro um und entdeckte eine übertapezierte Tür. Im Nu war er zur
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