Der Prometheus-Verrat
wahrhaftig nicht zu beneiden.
Sechzehntes Kapitel
D ie Pension lag in einem heruntergekommenen Teil Brüssels, den Marolles, wo ausschließlich Arme und Außenseiter lebten. Viele der noch aus dem 17. Jahrhundert stammenden Häuser zerfielen nach und nach. Die Anwohnerschaft setzte sich mehrheitlich aus südländischen Immigranten zusammen, hauptsächlich Nordafrikanern. Die Besitzerin der Pension La Samaritaine war eine kleine, gedrungene Frau aus dem Maghreb. Sie hockte mit düster argwöhnischem Blick an einem Tisch in einem übel riechenden Verschlag, der als Empfang diente. Zu ihrem gewöhnlichen Klientel zählten Durchreisende, Kleinkriminelle und mittellose Asylanten. Umso verdächtiger musste ihr jener vornehm aussehende Mann erscheinen, der mitten in der Nacht mit kleinem Gepäck aufkreuzte, teure Kleider trug und völlig deplatziert wirkte.
Bryson war mit dem Zug vom Gare du Nord angereist und hatte in einer Imbissstube widerlich fettige moules et frites und ein schales Pils als Abendessen zu sich genommen. Von der griesgrämigen Pensionswirtin wollte er nun wissen, welche Zimmernummer seine Bekannte habe, die, wie er glaube, am späten Nachmittag angekommen sei. Die Frau hob die Augenbrauen und antwortete ihm mit anzüglichem Grinsen.
Layla war vor einigen Stunden mit einem Last-Minute-Flug auf dem Zaventem Airport eingetroffen. Sie würde mittlerweile, wie er vermutete, genauso müde sein wie er, doch durch den Spalt unter ihrer Tür sickerte noch Licht. Also klopfte er an. Ihr Zimmer war nicht weniger schäbig als seines.
Sie schenkte ihm aus einer Flasche Scotch ein, die sie in einem Laden nahe dem Vieux Marché erstanden hatte. »So, und jetzt verraten Sie mir doch bitte, wer dieser ›aufrechte Mann‹ aus Washington ist, den Sie hier treffen wollen.« Und mit schelmischem Schmunzeln fügte sie hinzu: »Zur CIA
kann er wohl kaum gehören – es sei denn, Sie hätten in Langley tatsächlich einen ehrlichen Menschen gefunden.« Die blauen Flecken im Gesicht, die ihr Jan Vansina zugefügt hatte, waren violett verfärbt und sahen schlimm aus.
Bryson nippte an seinem Glas und setzte sich auf einen verstaubten Stuhl mit Armlehne. »Nein, von der Agentur ist er nicht.«
»Und?«
Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
»Noch nicht was ?«
»Wenn’s soweit ist, weihe ich Sie ein. Jetzt noch nicht.« Sie saß auf der anderen Seite eines kleinen Tisches, dessen Holzfurnier zum Großteil abgeblättert war, und stellte ihr Glas darauf ab. »Sie halten mich immer noch hin. Das war so nicht abgemacht.«
»Abgemacht haben wir überhaupt nichts, Layla.«
»Ja, glauben Sie denn, ich würde mich Ihnen blindlings anschließen, in einer Sache, von der ich nichts weiß?« Sie war wütend, und diese Wut war nicht nur auf ihre Müdigkeit und den Alkohol zurückzuführen.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete er vorsichtig. »Aber ich habe Sie nicht gebeten, mir zu helfen. Im Gegenteil, ich habe Sie davon abzubringen versucht. Nicht, weil Sie mich behindert hätten – nein, Sie waren mir von unschätzbar großer Hilfe –, aber ich wollte nicht länger die Verantwortung dafür tragen, dass Sie Ihr Leben für mich aufs Spiel setzen. Denn das ist mein Engagement, meine Mission. Wenn auch für Sie ein positiver Nebeneffekt dabei rausspringen sollte… umso besser.«
»Das klingt reichlich unterkühlt.«
»Mag sein, aber eine andere Temperatur kann ich mir nicht leisten.«
»Dabei haben Sie auch eine liebevolle, zartfühlende Seite. Das spüre ich.«
Er antwortete nicht.
»Ich vermute, Sie waren verheiratet.«
»Ach ja? Wie kommen Sie darauf?«
»Habe ich Recht?«
»Ja«, gestand er. »Aber was hat Sie darauf gebracht?«
»Die Art, wie Sie sich mir gegenüber verhalten – abgesehen von Ihrer professionellen Vorsicht; Sie kennen mich ja nicht. Trotzdem, mich an Ihrer Seite zu haben ist Ihnen nicht unangenehm, oder?«
Bryson schmunzelte, sagte aber nichts.
Sie fuhr fort: »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten männlichen Kollegen in unserer Branche ziemlich verunsichert sind, was den Umgang mit Frauen angeht. Für sie ist unsereins entweder geschlechtslos oder aber ein potenzielles romantisches Abenteuer. Sie dagegen scheinen zu verstehen, dass sich die Angelegenheit komplexer verhält, dass Frauen, wie auch Männer, beides sein können, oder nichts von beiden oder etwas völlig anderes.«
»Sie sprechen in Rätseln.«
»Tut mir Leid. Ich meine … nun, es ist im Grunde ganz einfach: Was
Weitere Kostenlose Bücher