Der Prometheus-Verrat
ich sagen will, ist, dass wir Mann und Frau sind …« Sie hob ihr Glas, wie um ihm zuzuprosten.
Er verstand den Wink, gab sich aber ahnungslos. Sie war eine außergewöhnliche Frau, zu der er sich in Wahrheit immer stärker hingezogen fühlte. Aber dieser Anziehung nachzugeben wäre allzu egoistisch gewesen und hätte womöglich Erwartungen geweckt, denen nachzukommen er nicht bereit oder fähig sein würde, solange in Frage stand, wie es um seine Beziehung zu Elena stand. Eine Bettgeschichte, so schön sie auch zu sein versprach, würde ihr Verhältnis einschneidend verändern und Probleme aufwerfen, die womöglich ihre Arbeit gefährdeten.
»Sie sprechen offenbar aus Erfahrung«, bemerkte er. »Ihr Mann – Sie waren, wie Sie sagten, mit einem israelischen Soldaten verheiratet –, hat er etwa auch zu denen gehört, die sich mit Frauen schwer tun?«
»Ich war damals noch ein Mädchen, ein ganz anderer Mensch.«
»Hat sein Tod Sie verändert?«, fragte Bryson.
»Ja, sein Tod und der meines Vaters, obwohl ich ihn kaum gekannt habe«, antwortete sie nachdenklich und nahm einen Schluck aus ihrem Glas.
Er nickte.
Mit gesenktem Blick sagte sie: »Yaron, mein Mann, war während der Intifada bei Kiryat Shmona stationiert und half, das Dorf zu verteidigen. Eines Tages starteten die israelischen Luftstreitkräfte einen Raketenangriff auf ein Hisbollah-Lager in der Beka’a-Ebene, ganz in der Nähe des Ortes, wo ich als Kind gelebt hatte. Bei diesem Angriff kamen eine Mutter und alle ihre fünf Kinder ums Leben. Ein Albtraum. Die Gegenseite rächte sich, indem sie ihre Katjuscha-Raketen auf Kiryat Shmona abfeuerten. Yaron war gerade dabei, die Dorfbewohner in bombensichere Schutzräume zu bringen, als er von einer der Raketen getroffen wurde und bis zur Unkenntlichkeit verbrannte.« Mit Tränen in den Augen blickte sie auf. »Ich frage Sie, wer war im Recht? Die Hisbollah, die sich anscheinend zum Ziel gesteckt hat, möglichst viele Israeli umzubringen? Oder die israelischen Luftstreitkräfte, die in ihrer Versessenheit darauf, ein Hisbollah-Lager zu zerstören, in Kauf nahmen, dass Unschuldige dabei zugrunde gehen?«
»Sie kannten die Mutter und deren fünf Kinder, nicht wahr?«
Sie nickte und biss sich auf die Unterlippe, als die Tränen zu laufen begannen. »Meine Schwester… meine ältere Schwester und meine kleinen Nichten und Neffen.« Für eine Weile konnte sie nicht sprechen. Dann sagte sie: »Wissen Sie, schuldig sind nicht nur die Männer, die die Katjuschas abschießen, sondern auch diejenigen, die diese Waffen liefern. Und auch die, die in ihren Bunkern über Landkarten sitzen und den Angriff planen. Männer wie Jacques Arnaud, der die halbe französische Nationalversammlung am Wickel hat, und der, weil er Waffen an Terroristen und Fanatiker auf der ganzen Welt verkauft, unvorstellbar reich geworden ist. Kurzum, für den Fall, dass Sie mir irgendwann doch noch Vertrauen schenken und die Absicht haben sollten, mir zu erklären, wofür Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen und was Sie herauszufinden hoffen … für den Fall möchte ich, dass Sie wissen, wem Sie sich gerade anvertrauen.« Sie stand auf und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Und jetzt muss ich schlafen gehen.«
Mit aufgewühlten Gedanken kehrte Bryson in sein Zimmer zurück. Er musste unbedingt und schnellstmöglich mit Richard Lanchester Kontakt aufnehmen. Gleich nach dem Aufstehen würde er versuchen, den Sicherheitsberater anzurufen. Bryson ahnte, dass er noch viel zu wenig wusste und dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Seit Harry Dunne – aus welchen Gründen auch immer – verschwunden war, gab es auf höchster Ebene nur noch eine Anlaufstelle, die einflussreich und unabhängig genug war, um gegen das Direktorat etwas ausrichten zu können. Lanchester war ihm zwar noch nie persönlich begegnet, doch er kannte einige seiner biografischen Daten: Lanchester hatte an der Wall Street etliche Millionen gescheffelt, bevor er mit Mitte vierzig in die Politik gegangen war. Für seinen Freund Malcolm David hatte er einen erfolgreichen Wahlkampf um das Präsidentenamt geführt, wofür dieser sich bei ihm mit der Ernennung zum nationalen Sicherheitsberater bedankt hatte. In diesem Amt war es ihm schnell gelungen, sich zu profilieren. Seine Intelligenz und Redlichkeit hoben sich wohltuend ab vom Dünkel und der Korruption der Washingtoner Politszene. Seine hoch geschätzten Kennzeichen waren Freundlichkeit, Gerechtigkeitssinn und politische
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