Der Prometheus-Verrat
meinem Chef, dass man mich nicht reingelassen hat. Macht meinen Job umso leichter – bei vollem Lohnausgleich.«
Bryson wandte sich ab und bereitete seine nächste Riposte vor, als die Frau, schon etwas weniger schroff, nachfragte: »Weshalb sind Sie denn hier?«
»Wie gesagt, Meredith gehört zu unseren Kunden, für die wir offsite backups machen, das ist Datensicherung nach Feierabend. Jetzt sind hier beim Kollationieren Fehler aufgetreten. Kommt nicht häufig vor, aber hin und wieder eben doch. Und das heißt, dass ich die Router hier im Haus checken muss.«
Seufzend langte sie zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. »Charlie, haben wir einen Wartungsvertrag mit der Firma McCaffrey …«, sie las von Brysons T-Shirt ab, »Datenspeicher-Services?«
Sie lauschte eine Weile in den Hörer. »Er sagt, er müsse wegen irgendeines Fehlers irgendetwas checken.«
Und dann: »Okay, danke.« Sie legte auf und grinste überheblich. »Sie hätten sich telefonisch anmelden sollen«, rügte
sie. »Der Aufzug da hinten rechts bringt Sie runter auf Ebene B.«
Im Tiefparterre angekommen, eilte er zum Tor der Warenannahme, das er während seiner Erkundungen entdeckt hatte. Dort wartete Elena. Sie war ähnlich ausstaffiert wie er und trug ein Klemmbrett aus Aluminium unter dem Arm. Das Archiv der Bank befand sich in einem großen Kellerraum mit niedriger Decke, summenden Neonleuchten und etlichen Reihen metallener Lagerregale voll von grauen Aufbewahrungskästen, die, was sich an den Aufschriften unschwer erkennen ließ, chronologisch geordnet waren: von 1860, dem Jahr der Gründung durch den irischen Leinenhändler Elias Meredith, bis 1989. Akten jüngeren Datums waren offenbar noch nicht archiviert worden. Jeder Jahrgang war in verschiedene Kategorien unterteilt: Geschäftskunden, Personal, Sitzungsprotokolle, Beschlüsse, Satzungsänderungen und so weiter. Farbmarkierungen, aufgeklemmte Reiter und Strichcodes sorgten für systematische Ordnung.
Die Zeit war begrenzt. Sie konnten sich nicht viel länger als eine Stunde hier unten aufhalten, denn dann würde sich die Wachmannschaft allmählich fragen, was den Service-Mann so unverhältnismäßig lange in Anspruch nahm. Bryson und Elena machten sich getrennt an die Arbeit: Er sah die Akten durch, während sich Elena an den Computer setzte und die elektronischen Daten zu sichten versuchte. Die Daten wurden über ein Programm verwaltet, das einfach handzuhaben und nicht eigens durch ein Passwort gesichert war – schließlich sollten es die Angestellten der Bank ja frei verwenden können.
Es war eine mühselige Arbeit, zumal sie gar nicht genau wussten, wonach sie suchten. Nach Informationen über Kunden? Welche Kunden? Nach Unterlagen über größere Geldüberweisungen ins Ausland? Aber wie ließen sich gewöhnliche Schiebereien an der Steuer oder der geschiedenen Frau vorbei von solchen Transfers unterscheiden, die letztlich nach vielen Umwegen in der Tasche eines Senators landeten? Elena hatte den Einfall, den Computer auf die Suche zu schicken, und zwar mit Hilfe einschlägiger Schlüsselwörter.
Doch nach einer Stunde gab es immer noch keine brauchbaren Ergebnisse.
Allerdings fielen ihnen bald große Lücken in den Aktenbeständen auf. Seit 1985 fehlten sämtliche Unterlagen zu den Bezügen der Gesellschafter, Unterlagen, die aber nicht etwa verlegt worden wären: Elena konnte auch über den Datenbankmanager am Computer bestätigen, dass nach 1985 an keiner Stelle irgendetwas über die Einkünfte der Gesellschafter ausgewiesen war.
Frustriert und mit fortschreitender Zeit immer nervöser, beschloss Bryson schließlich, seine Recherchen auf einen Gesellschafter zu konzentrieren, nämlich auf Richard Lanchester. Er sichtete dessen Personal-, Gehalts- und Kundenakten. Sie bezeugten alle den bekannten Lanchester-Mythos vom Genie der Wall Street. Gleich nach seinem Harvard-Abschluss hatte er seine Tätigkeit bei Meredith Waterman aufgenommen, wo er schnell Karriere machte. Er war überaus erfolgreich im Obligationenhandel und verschaffte der Bank beträchtliche Gewinne. Bald stieg er in eine leitende Position auf, wo er sich einer weiteren Spezialität widmete: dem Devisen- und Effektenhandel. Im Vergleich zu den Erfolgen, die er auf diesem Gebiet hatte, waren die Gewinne aus den früheren Geschäften Peanuts. Richard Lanchester hatte sich in nur zehn Jahren zum einträglichsten Banker der Firmengeschichte entwickelt.
Die Wall-Street-Koryphäe war durch ihre geschickten
Weitere Kostenlose Bücher