Der Prometheus-Verrat
Geschäfte extrem reich geworden – und mit ihr die anderen Gesellschafter. Lanchester hatte es in der Kunst des so genannten Derivatehandels zur Meisterschaft gebracht und setzte Milliardensummen in Termingeschäften ein. Im Grunde war er ein Zocker am Spieltisch der internationalen Handelsmärkte, einer, der immer nur Gewinne einheimste. Und wie jeder andere Spieler glaubte er fest daran, dass seine Glückssträhne niemals enden würde.
Doch genau das war Ende 1985 der Fall gewesen.
In diesem Jahr trat die große Wende ein. Fasziniert von Lanchesters Geschichte auf kaltem Boden hockend, stieß Bryson auf einen dünnen Aktenordner mit den Berichten hauseigener Wirtschaftsprüfer, die eine so dramatisch abschüssige
Bilanzkurve beschrieben, dass man es kaum glauben mochte.
Eine von Lanchesters Riesenwetten – auf Eurodollar-Futures – war offenbar geplatzt. Über Nacht gingen der Bank drei Milliarden Dollar verloren, eine Summe, die ihr Betriebsvermögen um ein Vielfaches überstieg.
Meredith Waterman stand vor dem Aus. Die Bank hatte über anderthalb Jahrhunderte alle Finanzkrisen überstanden, ja, sogar die Weltwirtschaftskrise. Doch dann verlor Richard Lanchester eine Wette, und Amerikas älteste Privatbank war pleite.
» Ach, du lieber Himmel «, hauchte Elena, als sie den Prüfbericht überflogen hatte. »Aber… von alledem ist nichts bekannt geworden.«
Bryson schüttelte den Kopf. »Rein gar nichts. Kein einziger Artikel, nirgends.«
»Wie ist das möglich?«
Er warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatten inzwischen schon fast zwei Stunden im Archiv zugebracht und riskierten, entdeckt zu werden.
Plötzlich kam Bryson die Erleuchtung. Er sah Elena mit großen Augen an und sagte: »Jetzt weiß ich, warum wir nach 1985 nichts über die Einkünfte der Gesellschafter finden konnten.«
»Und warum nicht?«
»Sie hatten einen Wohltäter, der sie vor dem Untergang bewahrt hat.«
»Was soll das heißen?«
Er stand vom Boden auf und zog einen grauen Kasten mit der Aufschrift ANTEILSÜBERTRAGUNGEN aus dem Regal. Der war ihm schon vorher aufgefallen, hatte ihn aber nicht weiter interessiert, weil so vieles andere aufschlussreicher zu sein schien. Er öffnete den Kasten und fand darin nur einen einzigen braunen Ordner, der insgesamt 14 dünne juristische Dokumente enthielt, die zu je drei Seiten zusammengeheftet waren.
Jedes der Exemplare war überschrieben mit dem Wort ANTEILSÜBERTRAGUNG. Er las das erste mit pochendem
Herzen. Obwohl er den Inhalt schon ahnte, blieb ihm vor Schreck der Mund offen stehen.
»Nicholas, was ist? Was steht da?«
Er las laut vor. »Der Unterzeichnende veräußert alle Rechte, Titel und Gesellschaftsanteile an den Vertragspartner, auf den sämtliche Ansprüche und Obliegenheiten aus diesen Anteilen übergehen …«
»Was soll das heißen? Nicholas, was bedeutet das?«
»Im November 1985 haben alle 14 Gesellschafter von Meredith Waterman ihre Anteile verkauft«, antwortete Bryson. Sein Mund war ausgetrocknet. »Sie hafteten alle persönlich für die drei Milliarden Dollar Schulden, die ihnen Lanchester eingebrockt hatte. Offenbar blieb ihnen keine andere Wahl. Sie standen mit dem Rücken zur Wand und mussten verkaufen.«
»Aber … ich verstehe nicht ganz. Was gab es da denn noch zu verkaufen?«
»Im Grunde nur den Namen. Die leere Hülle einer Bank.«
»Und was war die noch wert?«
»Vierzehn Millionen. Die alten Gesellschafter wurden jeweils mit einer Million abgefunden, worüber sie sich sehr glücklich schätzen durften. Der Käufer nahm ihnen nämlich die komplette Schuldenlast ab. Aber er konnte sich das auch leisten. Mit der Übertragung hat sich jeder Gesellschafter außerdem in einer gesonderten Vereinbarung zum Stillschweigen verpflichtet. Bei Zuwiderhandlung riskierte er, seine Million, über fünf Jahre verteilt, zurückzahlen zu müssen.«
»Das ist doch nicht zu fassen«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Hab ich richtig verstanden? Meredith Waterman wurde 1985 an eine Einzelperson verkauft? Und außer den Beteiligten wusste keiner was davon?«
»So ist es.«
»Aber wer war der Käufer? Wer war verrückt genug, ein solches Geschäft abzuschließen?«
»Jemand, der ein Interesse daran hatte, heimlicher Inhaber eines renommierten Bankhauses zu werden, über das er dann in seinem Sinne frei verfügen konnte. Nämlich zum Zweck illegaler Geldtransfers rund um die Welt.«
»Wer steckt dahinter?«
Bryson lächelte matt und schüttelte den Kopf. »Ein
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