Der Prometheus-Verrat
der Tastatur herum und wusste bald, mit welchen Funktionen die einzelnen Tasten belegt waren. Schnell fand er auch heraus, dass sich die Überwachungskameras mittels einer Maus horizontal und vertikal bewegen ließen. Und per Klick wurde das Zoomobjektiv in Gang gesetzt.
Die Empfangshalle war immens groß, über drei Etagen hoch, umringt von mehreren Balkonen. Über hundert Gäste verteilten sich auf Dutzende weiß eingedeckter Tafeln, die prachtvoll mit Blumengestecken und Kristall dekoriert waren.
An dem einen Ende der Halle stand eine mächtige Skulptur aus leuchtend vergoldeter Bronze, die in doppelter Lebensgröße Jeanne d’Arc mit gezogenem Schwert auf ihrem Pferd darstellte, in dem Moment, da sie ihre Landsleute in die Schlacht von Orléans führte. Sonderbar, aber irgendwie passend für einen Menschen wie Gregson Manning.
Am anderen Ende sah er hinter einem schlanken, schlichten Rednerpult den Gastgeber persönlich stehen. Er trug einen eleganten schwarzen Anzug und hatte die Haare zurückgekämmt. Der Eifer, mit dem er redete, wurde auch ohne Ton deutlich, vor allem an den Händen und der Art, wie er damit den Rand des Pultes umklammerte. Überaus beeindruckend war die Wand in seinem Rücken, die aus 24 riesengroßen Videobildschirmen bestand, wovon jeder ein Bild des Redners Manning in Echtzeit wiedergab: eine egomanische Selbstinszenierung, wie sie zu einem Hitler oder Mussolini gepasst hätte.
Bryson schwenkte die Kamera und zoomte das Publikum näher heran. Und was er sah, verblüffte ihn über alle Maßen.
Er kannte bei weitem nicht alle, aber viele von denen, die er kannte, waren weltweit angesehene Persönlichkeiten.
Da war der Chef des FBI.
Der Sprecher des Repräsentantenhauses.
Der Vorsitzende des Generalstabes.
Mehrere amtierende US-Senatoren.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, ein wegen seiner Höflichkeit und Besonnenheit hoch geschätzter Ghanaer.
Der Chef des britischen MI-6.
Der Direktor des Internationalen Währungsfonds.
Das demokratisch gewählte Oberhaupt von Nigeria. Die obersten Militärs und Geheimdienstler aus etlichen Dritte-Welt-Ländern, unter anderem aus Argentinien und der Türkei.
Bryson starrte und staunte.
Die Bosse einiger multinationaler Technologieunternehmen, von denen Bryson manche vom Sehen kannte. Sie alle –
schwarz befrackt und in Begleitung von Frauen in förmlicher Abendgarderobe – lauschten andächtig den Worten des Gastgebers.
Jacques Arnaud.
Anatoli Prischnikow.
Und … Richard Lanchester.
»Mein Gott…!«, platzte es aus ihm heraus.
Er fand den Lautstärkeregler und drehte ihn auf.
Mannings Stimme tönte samtweich durch die Lautsprecher.
»… eine Revolution der globalen Observation. Ich freue mich auch, Ihnen ankündigen zu können, dass die von Systematix entwickelte Software zur Gesichtserkennung schon bald weltweit zum Einsatz kommen wird. Dank der bereits genutzten CCTV-Technik sind wir nunmehr in der Lage, größere Menschenansammlungen zu scannen und einzelne Gesichter mit dem Inhalt einer internationalen Datenbank abzugleichen. All dies ist nur möglich geworden, weil wir zu kooperieren gelernt haben und an einem Strang ziehen – wir, das sind die Repräsentanten von inzwischen bereits 47 Nationen, und unser Kreis wird täglich größer.«
Manning hob die Hände, als wolle er die Anwesenden segnen.
»Lassen sich so auch Fahrzeuge observieren?« Der Fragesteller war ein dunkelhäutiger Mann mit afrikanischem Akzent.
»Danke für den Hinweis, Mr. Obutu«, antwortete Manning. »Mit Hilfe unserer neuralen Netzwerk-Technologie ist es uns tatsächlich auch möglich, Fahrzeuge im fließenden Verkehr zu erkennen und ihnen kreuz und quer durch eine Stadt, durch ein Land zu folgen. Die so gewonnenen Informationen lassen sich speichern und diversen Verwertungszwecken zuführen. Sie sehen, es ist nicht nur so, dass wir das Netz erweitern; wir verkleinern auch seine Maschen.«
Es wurde noch eine Frage gestellt, die Bryson aber nicht verstehen konnte.
Manning lächelte. »Ich bin sicher, mein lieber Freund Rupert Smith-Davies vom MI-6 wird mir voll und ganz Recht geben, wenn ich sage, dass es mit den rechtlichen Behinderungen der NSA und des GCHQ ein für alle Mal vorbei sein muss. Es ist doch einfach lächerlich, dass man in Großbritannien zwar Amerikaner observieren darf, aber keine Briten. Und hierzulande verhält es sich genauso, nur unter anderen Vorzeichen. Leider ist unser CIA-Koordinator Harry Dunne erkrankt und
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