Der Prometheus-Verrat
evolutionären Algorithmen und neuralen Netzwerken. So etwas hat es noch nie gegeben.«
»Und im Zentrum steht der Despot und Voyeur Gregson Manning, der eine Unzahl von virtuellen Spannern orchestriert. «
Manning schmunzelte. »Haben Sie schon einmal vom Volk der Igbo aus dem Osten Nigerias gehört? Obwohl ringsum Chaos und Korruption herrschen, leben sie selbst in Freiheit. Warum? Weil sie ihrer Tradition gemäß sehr viel Wert auf Transparenz legen. Sie meinen, dass es an einer anständigen Person nichts gibt, was sie vor anderen verheimlichen müsste. Alles, was sie tun, geschieht vor Zeugen. Sie verabscheuen jede Form von Geheimniskrämerei und Zurückgezogenheit. Ihr Ideal absoluter Transparenz ist so weit entwickelt, dass, sobald auch nur ein Funken von Misstrauen auftaucht, ein Ritual namens Igbandu abgehalten wird, wobei diejenigen, die einander misstrauen, das Blut des jeweils anderen trinken müssen. Zugegeben, ein ziemlich umständliches Regime, was die Logistik betrifft. Das Netzwerk von Prometheus dagegen erzielt ähnliche Resultate mit ganz und gar unblutigen Methoden.«
»Papperlapapp! «, blaffte Bryson und rückte noch ein paar Schritte weiter vor. »Das sind exotische Geschichten, die von unseren Verhältnissen himmelweit entfernt sind.«
»Seit zehn Jahren ist die Verbrechensrate in den Vereinigten Staaten, vor allem in größeren Städten, deutlich rückläufig. Wissen Sie, woran das liegt?«
»Was weiß ich?«, entgegnete Bryson. »Aber Sie werden bestimmt Ihre Theorie haben.«
»Keine Theorie. Das Produzieren von Theorien, die sich dann immer wieder als falsch erweisen, überlasse ich unseren Sozialwissenschaftlern. Nein, ich habe nicht bloß eine Theorie, sondern Gewissheit.«
»Soll das etwa heißen …« Bryson stockte.
Manning nickte. »Wir haben eine Pilotstudie durchgeführt. Zu dem Zeitpunkt waren unsere Möglichkeiten der Überwachung
allerdings noch sehr begrenzt. Nun ja, man fängt immer klein an, nicht wahr?« In einem etwa drei Quadratmeter großen Ausschnitt der Wand zu seiner Linken leuchtete plötzlich der Stadtplan von Manhattan auf. Das Straßennetz war mit kleinen blauen Punkten besprenkelt. »Das sind unsere versteckt installierten Überwachungskameras«, fuhr Manning fort und deutete auf die Punkte. »Anfangs haben wir der Polizei nur anonyme Tipps gegeben. Die Aufklärungsrate bei der Ermittlung von Straftaten stieg auf wundersame Weise an. Seit langer Zeit hat es endlich wieder einmal den Anschein, dass sich Verbrechen tatsächlich nicht auszahlt. Die Polizei brüstet sich mit angeblich neuen Methoden, Kriminologen finden irgendwelche anderen Erklärungen, aber niemand spricht von den Kameras, die alles aufzeichnen, und von unserer Überwachungsinitiative. Niemand spricht davon, dass die von Kriminellen bedrohten Straßenzüge und dunklen Gassen nunmehr veritable Panoptiken sind. Keiner spricht von unserem Pilotprojekt, weil es niemand wahr haben will . Begreifen Sie allmählich, was wir für die Menschheit zu tun im Stande sind? Für den armen homo sapiens ? Zuerst musste er Jahrtausende unter denkbar schlechten Verhältnissen ums schiere Überleben kämpfen, und kaum hatte ihm die Aufklärung ein bisschen Hoffnung gebracht, kamen mit der Industrialisierung und Urbanisierung eine Fülle an neuen sozialen Schwierigkeiten auf ihn zu. Die Kriminalität nahm in einem bislang nie geahnten Ausmaß zu. Ganz zu schweigen von zwei Weltkriegen und scheußlichen Verbrechen wider die Menschlichkeit. Und wenn sich keine feindlichen Armeen gegenüberstehen, führen innerstädtische Banden Krieg miteinander. Wollen wir unter solchen Voraussetzungen leben? Wollen wir so sterben? Die Mitglieder der Prometheus-Gruppe rekrutieren sich aus aller Herren Länder und aus unterschiedlichen Schichten, aber allen gemein ist die Überzeugung, dass es nichts Wichtigeres gibt als Sicherheit.«
Bryson bewegte sich noch ein paar Schritte auf Manning zu. »Und das ist Ihre Vorstellung von Freiheit?« Ich muss ihn am Reden halten .
»Wirkliche Freiheit ist immer Freiheit von etwas. Wir wollen eine Welt schaffen, deren Bürger frei von der Angst vor Gewalt leben können. Das, Mr. Bryson, ist wahre Freiheit. Wenn alle wissen, dass ihnen auf die Finger geschaut wird, zeigen sich die Menschen von ihrer besten Seite.«
Noch zwei, drei Schritte näher, ganz en passant. Und am Reden halten . »Und auf die Privatsphäre kann gepfiffen werden«, sagte Bryson, der jetzt keine fünf Meter mehr von
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