Der Prometheus-Verrat
tun oder gehörte er sogar mit zum Kader? Was hätte es zu bedeuten, wenn Arnaud, dieser politisch extrem rechts stehende Großindustrielle, in Verbindung mit dem Direktorat stünde – also auch in Verbindung mit dem wohl reichsten Mann Russlands?
Angenommen, diese beiden so überaus einflussreichen Geschäftsmänner – der eine aus Russland, der andere aus Frankreich – kontrollierten tatsächlich das Direktorat und nutzten es, um weltweit Unfrieden und Terror zu stiften, so stellte sich die Frage: Was führten sie im Schilde?
Sie ließen die italienischen Brüder gefesselt und geknebelt in der Kirche zurück. Zuvor hatte Layla auf Brysons Bitte hin mit Hilfe eines Lappens eine Art Druckverband an Paolos lädiertes Knie angelegt, um den Blutfluss zu stoppen.
»Wie können Sie so nachsichtig einem Mann gegenüber sein, der Sie umzubringen versucht hat?«, fragte sie später, offenbar ehrlich verwundert.
Worauf Bryson mit den Achseln zuckte. »Er hat nur seinen Job tun wollen.«
»Bei uns im Mossad werden andere Umgangsformen gepflegt«, sagte sie. »Wer einem Mordanschlag entgeht, darf seinen gescheiterten Killer nicht ungestraft davonkommen lassen.«
»Für mich gelten andere Regeln.«
Zur Nacht quartierten sie sich in einer kleinen, anonymen hospedaje am Stadtrand von Santiago de Compostela ein. Dort machte sich Layla sogleich daran, Brysons Schulterverletzung mit Wasserstoffsuperoxid, das sie zuvor in einer farmacia gekauft hatte, zu reinigen, mit einem Stich zu vernähen und mit einer desinfizierenden Salbe zu versehen. Sie ging dabei so geschickt zu Werke wie eine geübte Unfallärztin.
Als sie seinen freien Oberkörper betrachtete, fiel ihr eine lange, glatte Narbe in der Bauchdecke auf: Sie zeugte von der Wunde, die ihm Abu in Tunesien zugefügt hatte, und die von Chirurgen im Auftrag des Direktorats aufs Beste verarztet worden war. Sie tat nicht mehr weh, wenngleich die Erinnerung an den Vorfall immer noch traumatisch nachwirkte.
»Ein Memento«, murmelte er. »Von einem alten Freund.« Regen prasselte gegen das kleine Zimmerfenster und ergoss sich in Strömen auf das Pflaster der stellenweise bemoosten Straße.
»Da hat wohl nicht viel gefehlt, und Sie wären draufgegangen. «
»Ich hatte gute Ärzte.«
»Sie sind schon häufiger attackiert worden.« Sie fuhr mit der Fingerspitze über eine daumennagelgroße Narbe am rechten Bizeps. »Und die?«, fragte sie.
»Auch so ein Memento.«
Die Erinnerung an Nepal lebte wieder auf, an einen Furcht erregenden Gegner namens Ang Wu, einen abtrünnigen Offizier der chinesischen Streitkräfte. Bryson fragte sich wieder einmal, was damals im Verlauf des Schusswechsels tatsächlich geschehen war. Für wen und wofür hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt? War er wirklich nur Marionette in einer bösartigen Verschwörung gewesen, die er nach wie vor nicht durchschaute?
So viel vergossenes Blut, so viele verschwendete Menschenleben. Wozu das alles? Was für eine Bedeutung hatte sein Leben gehabt? Je mehr Informationen ihm bekannt wurden, desto weniger verstand er. Er dachte an seine Eltern, an das letzte Mal, dass er sie lebend gesehen hatte. War es tatsächlich möglich, dass sie von den Denkern und Lenkern des Direktorats umgebracht worden waren? Er dachte an Ted Waller, den er mehr bewundert hatte als irgendjemanden sonst auf der Welt, und ihm kam vor Wut die Galle hoch.
Wie hatte Niccolo, der Killer aus dem Friaul, sich und seinen Bruder genannt? Nützliche Esel? Sie waren gedungene Männer fürs Grobe, austauschbare Figuren in einem miesen Spiel, über dessen Regeln sie sich nie im Klaren waren. Bryson erkannte erst jetzt, dass es in dieser Hinsicht zwischen ihm und den italienischen Brüdern überhaupt keinen Unterschied gab. Sie alle waren nicht mehr als Werkzeuge im Gebrauch dunkler Kräfte. Bauern, die notfalls geopfert wurden.
Layla stand von der Bettkante auf, ging nach nebenan in das winzige Badezimmer und kehrte gleich darauf mit einem Glas Wasser zurück. »Der Apotheker hat mir dieses Antibiotikum gegeben. Ich musste ihm versprechen, bis morgen ein Rezept nachzureichen.« Sie gab ihm eine Kapsel und das Wasserglas. Sofort meldete sich warnend sein in Fleisch und Blut übergegangener Argwohn. Was war das für eine Pille, die sie ihm da gab? Dann schaltete sich sein Verstand ein: Für einen Mordanschlag auf dich hätten sich ihr in den vergangenen 24 Stunden etliche bessere Gelegenheiten geboten. Ja,
sie hätte dir einfach ihre Hilfe
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