Der Protektor (German Edition)
Springbrunnens sitzen langhaarige Hippies in grellbunten Hemden und ausgefransten Hosen. Das Taxi fährt wenige Zentimeter an ihren bloßen, in Sandalen steckenden Füßen vorbei, sie rühren sich nicht.
Das ist die Straße. Nicht die vielgesichtige, vielstimmige Straße des Südens, die ich so sehr mag, sondern eine nördliche, verhalten und ruhiger. Doch auch diese hat ihren Reiz. Sie hat einen Hauch von Altertümlichkeit, von Jahren, die sich in Schichten abgelagert haben. In den Winkeln der strengen Gebäude, in den kleinen Grünanlagen mit den grün überzogenen Bronzedenkmälern, in den eingemeißelten gotischen Schriftzügen an den Häusern.
So ist diese Straße. Mag sein, dass sie scheinheilig ist und sich nicht allzu sehr gegen die Sex-Shops und die zweifelhaften Kellerlokale wehrt, und das in den dunklen Querstraßen Mädchen mit Schultertaschen auf und ab promenieren.
Doch sie hat ein eigenes Gesicht.
Bresson ist überwacht worden! Das legt sich auf meine Gedanken, stürmt auf sie ein, setzt sich durch, so sehr ich mich auch bemühe, es im Augenblick zu verdrängen. Ich darf nicht daran denken, zumindest nicht jetzt, weil ich Fehler machen würde. Ich würde mich hinreißen lassen und etwas tun, was ich nachher nicht mehr korrigieren könnte. Jetzt bin ich bloß ein Inspektor, der sich neugierig eine Stadt im Norden ansieht.
Krongatan lebt tatsächlich in Etagen. Über der Straße wohnen die ruhigen Bürger, die kleinen Büroangestellten, die sparsamen Zimmervermieterinnen der Krongataner Studenten. Für sie ist der Tag vorbei, ein Tag, der Gutes und Schlechtes gebracht hat: Verkäufe, Börsenkurse, stornierte Bestellungen, Gespräche über die Krise. Jetzt tanzt auf den Vorhängen der kleinen Wohnungen der bläuliche Widerschein der Fernseher – die Stunde der neuen Fernsehserie ist da.
Noch weiter oben, in den letzten Etagen, sind die Mansarden mit ihren kleinen Balkonen, Türmchen und den vielen Blumentöpfen. Dort ist das Reich der CD-Player, der Discomusik und der provozierenden Poster, mit denen die Wände beklebt sind. Dort wird über Heidegger und Kant diskutiert, das Schicksal der Welt entschieden, geliebt und sich zielstrebig darauf vorbereitet, in die unteren Etagen umzuziehen.
Und ganz oben sind die steilen Dächer mit Ziegeln, die wie Fischschuppen liegen. Und der Mond, groß und kalt.
Die Straßen werden enger, die großen roten Augen der Verkehrszeichen kommen uns jetzt in einem fort entgegen, das Taxi biegt immer öfter ab. Wir gelangen zu einem alten Platz mit Denkmal und Grünanlage. Inmitten sorgfältig beschnittener Zypressen hält ein Bronzehalter eine Schriftrolle hoch.
Der Platz ist umgeben von strengen dreigeschossigen Gebäuden mit Bogen, unter denen die Eingänge verborgen sind. Das ist zweifellos die Universität. Genau vor uns, über dem Hauptgebäude aus dunkelroten Ziegeln, erhebt sich ein Uhrturm. Alles ist streng, unzugänglich. Und es ist still – die Studenten sind nicht hier. Nur da und dort geht ein Passant über den Platz.
Das Taxi fährt um die Grünanlage herum und biegt in eine der einmündenden Straßen ein; sie ist unwahrscheinlich eng, einmal geht sie unter Gewölben durch. Und sie führt uns auf einen neuen, benachbarten Platz mit einer Kirche in der Mitte. Die ist ebenfalls streng, beeindruckend, mit einem in den Himmel strebenden Glockenturm, doch der Platz ist vom goldgelben Licht der elektrischen Sonnen übergossen, und das macht ihn freundlicher. Der gotische Dom hat der Zeit standgehalten, er ist noch so, wie er vor drei- oder vierhundert Jahren war, nur der Platz, auf dem er steht, hat sich verändert. Die Gebäude sind hell, die meisten zu Anfang des Jahrhunderts gebaut, mit kleinen Balkonen und verschiedenfarbigen Fensterläden. Der Eindruck von Kirche und Platz ist recht seltsam – als beobachte eine strenge, doch wohlwollende Dame ihre ein bisschen leichtsinnigen Kinder. Dazu kommt die ungewöhnliche Belebtheit, die bei der Universität fehlte – das Taxi bahnt sich nur mit Mühe einen Weg durch die Menschen. Die Autos parken dicht an dicht, obendrein haben zwei kleine Lokale Tischchen mit Schirmen auf das Trottoir gestellt.
Soviel ich von Hedlund verstehe, sind hier, auf dem Sankt-Annen-Platz, die besten Pensionen für Dozenten und ausländische Studenten. Hier ist das wirkliche Zentrum der Universitätsstadt.
Ich bezahle das Taxi, und wir steigen aus. Dann zwängen wir uns zwischen den großen Autos durch und Hedlund führt mich in
Weitere Kostenlose Bücher