Der Protektor (German Edition)
In der Kochnische schmutziges Geschirr, Konserven und Flaschen, Tassen halb voll starkem Tee. Vermutlich hatten es die Zimmermädchen nicht leicht mit ihm.
Ich gehe weiter zum Vorraum und öffne den Kleiderschrank.
Nichts Besonderes, obwohl hier dieselbe Unordnung herrscht. Getragene, ungetragene, viel getragene Hemden. Daneben Bücher und alte Zeitschriften. Ein Wintermantel, ein Anzug für offizielle Anlässe; nicht mehr in der ersten Jugend: Stöße von Pullovern und Wäsche. Auf der Wäsche ein Packen Publikationen. Sonderdrucke, wie sie sich Wissenschaftler gegenseitig zuschicken und selten lesen.
Ich schlage den Ersten auf, der mir in die Hand fällt. Schweizerisch, vom Institut für Tropenkrankheiten, etwas über Kobras. Das ist ganz sein Stil – sich für alle möglichen unwahrscheinlichen Fragen zu interessieren. Diese majestätischen Tiere haben, soviel ich weiß, nichts mit Immunität zu tun.
Ein paar Minuten für die Anzug- und Manteltaschen. Zigaretten (damals hat er nicht geraucht!), zwei alte Theaterkarten, eine Einladung auf Glanzpapier für eine wissenschaftliche Konferenz, die schon stattgefunden hat, drei, vier Visitenkarten, wahrscheinlich von ebendieser Konferenz, und ein Schildchen mit seinem Namen zum Anstecken. Solche Schildchen trägt man auf Konferenzen, um Namensverwechselungen zu vermeiden.
Ich nehme einen Beutel aus der Tasche und stecke alles hinein.
Für jetzt ist es genug. Später werde ich mich unterrichten müssen, was das für eine Konferenz war, wen er da getroffen hat. Und mit wem er im Theater war. Ich glaube nicht, dass er den Lehrstuhlinhaber eingeladen hat. Ich habe nichts gegen Frauen im Leben eines alleinstehenden Mannes, denke aber auch an die Elektronik in seinem Auto.
Bleibt das Bad. Wenn jemand glaubt, unsere Arbeit bestehe hauptsächlich aus hochgeistigen Gedanken bei einem Glas Rotwein, der täuscht sich gewaltig. Freilich gibt es auch Rotwein, aber häufiger ist dies – das Bad und das Einsammeln von Proben; Mühsal und das Gefühl, dass jeden Moment jemand, der einen gar nicht kennt, zu dem Ergebnis kommen kann, dass man sich allzu sehr in seine Angelegenheiten mischt.
Ich schreite alles ab, sehe mich um und vergesse auch meine Uhr nicht wie auch manche andere kleine Apparate. Und die zeigen mir unzweideutig, dass es in der Wohnung keine Abhörgeräte gibt.
Das überrascht mich. Vielleicht ist im vorliegenden Fall kompliziertere Technik eingesetzt worden. Die gibt es auch, aber sie ist übermäßig teuer, das ist nichts für hier. Oder es gibt eben keine Mikrofone. Was ja die Möglichkeit nicht ausschließt, dass es welche gegeben hat.
Jetzt kann ich mich wieder dem Schreibtisch zuwenden und meine daktyloskopische Sammlung vervollständigen. Und erfahren, was Bresson geschrieben hat, bevor er wegging.
Ich stehe vor den Schreibtisch und versuche, mir den Mann vorzustellen, der da gesessen hat… dann ist er aufgestanden.
Es geht nicht.
Das ist merkwürdig und verwirrend. Es bedeutet, dass da etwas ist, was nicht in die Umgebung passt – die Erfahrung hat mich schon gelehrt, dass das so ist.
Er hat auf dem Notebook geschrieben, dann… nein, es geht nicht! Aber der Stuhl steht da, halb zur Seite gedreht, der Hausanzug über der Lehne, die Bücher mit den Zetteln… Alles, was dazugehört.
Ich ziehe den Stuhl ein bisschen zurück und setze mich. Merkwürdige Gewohnheit – die beschriebenen Blätter hat er unter den Drucker gelegt. Wo hätte er sie sonst auch hintun sollen? Es gibt sonst keinen Platz. Das letzte Blatt, angefangen und nicht zu Ende geschrieben, ist ebenfalls hier, zusammen mit einem leeren Blatt Papier.
Das Notebook wurde nicht geschlossen es läuft noch immer über Strom und in „Stand-by“.
Rasch überfliege ich ein paar Seiten. Es ist eine jener Übersichten, die als Ritual auf wissenschaftlichen Beratungen verlesen werden und bei denen die Anwesenden das Ende herbeisehnen.
Ich stecke den Bericht auf seinen Platz unter den Drucker zurück. Bresson hat wahrscheinlich dagesessen und geschrieben, als er weggerufen wurde. Die Schreibblätter liegen da, zur Hand, die Zeitschriften ebenfalls, der Hefter mit alten Berichten, denen man doch den einen oder anderen Gedanken entnehmen kann, die Nachschlagwerke!
Jetzt geht mir auf, was mich gestört hat. Auf dem Schreibtisch liegen Stapel von Büchern, und einer dieser Stapel, der auf der rechten vorderen Seite, liegt anders. Dessen Rücken sind nach außen gekehrt, nicht zu dem Mann hin,
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