Der Protektor von Calderon
zuvor. Mehr, als sie sich selbst zugetraut hat, dessen bin ich sicher.«
Araris trommelte mit den Fingern auf den Griff seines Schwertes. »Oft weiß man nicht, wo die eigenen Grenzen liegen, bis man sie ausprobiert hat. Ich kenne viele Menschen, die über enorme Metallkräfte verfügen, die sie jedoch, aus welchem Grund auch immer, nie benutzt haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Wie oft kommt man denn schon in die Verlegenheit, von einem Hai angegriffen zu werden und ihn auf ein Piratenschiff schleudern zu müssen, Tavi?«
Tavi schenkte Araris ein schiefes Grinsen. »Du kennst sie schon länger als ich«, sagte er leise. »Hast du je zuvor so etwas bei ihr erlebt? Etwas, das darauf hindeutet, dass ihre Kräfte beträchtlich größer sind, als allen bekannt ist?«
Araris schüttelte den Kopf. »Du willst eigentlich wissen, ob dein Vater je etwas darüber gesagt hat.«
Tavi blickte zur Seite, denn plötzlich war ihm unbehaglich zumute. »Hm, ja.«
Araris verschränkte die Arme und schwieg eine Weile. »Vor
langer Zeit. Und … ich habe eigentlich nie recht darüber nachgedacht.«
»Aber wenn du dich an etwas erinnerst …«
Araris hob die Hand und schloss kurz die Augen.
»Einmal. Wir haben uns darüber unterhalten, was Sextus sagen würde, wenn er von Isana erführe. Dein Vater hatte mir gerade von seiner Absicht erzählt, sie zu heiraten, und …« Araris sah Tavi an, und der junge Mann spürte das Unbehagen und die Scham seines Singulare. »Und ich habe ihm gesagt, er müsse die Krähen dafür bezahlen, wenn er es täte. Gaius würde nichts dagegen haben, wenn ein oder zwei Bastarde von ihm durch die Welt liefen - das Geschlecht war nie besonders fruchtbar. Aber er hatte längst Pläne gemacht, mit wem er Septimus verheiraten wollte. Er hatte seine Wahl nicht nur aus politischen Gründen getroffen, sondern die Frau auch ihrer Elementarkräfte wegen ausgesucht, damit das fürstliche Blut stark blieb.«
Tavi seufzte. »Ich werde dir den Rat nicht vorwerfen, den du meinem Vater gegeben hast, Araris. Verfluchte Krähen, du kennst mich doch. Erzähl mir nur einfach, was er gesagt hat.«
Araris nickte. »Er sagte, Isana sei viel mehr, als er erwartet hätte. Und sie würde mehr sein, als Gaius sich erhofft hätte.« Er seufzte. »Aber damit hat er nicht unbedingt ihre Elementarkräfte gemeint.«
»Danach hört es sich aber an. Was hätte er sonst meinen sollen?«, fragte Tavi.
»Es gab nicht viele Menschen, die bereit waren, Septimus zu widersprechen, aber sie gehörte dazu. Wenn sie glaubte, er irre sich, hat sie es ihm offen gesagt. Sie hat sich nicht mit ihm gestritten, aber … er konnte durch die Kraft seiner Persönlichkeit die meisten Menschen mitreißen. Bei Isana gelang es ihm nicht. Sie hat nie die Stimme erhoben, schien sich nie mit ihm zu streiten, aber sie hat auch nicht einen Zoll weit nachgegeben.« Araris zuckte die Schultern. »Tavi, dein Vater hat nie viel Wert auf Elementarkräfte gelegt, wenn es um wichtige Dinge ging.«
»Er brauchte ja auch nie darauf zu verzichten«, warf Tavi ein.
»Das ist wohl wahr.« Die Falten auf Araris’ Stirn vertieften sich. »Aber … Tavi, ich weiß nicht, ob du das schon gehört hast. Das Haus Gaius hatte immer eine Gabe für … na ja, nicht genau für Prophezeiungen. Aber für eine Form von Einsicht und Voraussicht, die über das hinausging, was man als schlichte Weisheit bezeichnen kann.«
Tavi runzelte die Stirn. »Das war mir unbekannt.«
»Es gehört auch nicht zu den Dingen, die man so beiläufig weitererzählt«, sagte Araris. »Septimus hatte eine besondere … Intuition. Manchmal beschrieb er Ereignisse, die sich erst Wochen oder Monate später zutrugen. Miles hat sie aufgeschrieben, damit sie in Erinnerung blieben. Manchmal hat Septimus sie einfach wieder vergessen. Ich glaube, er hatte keine Kontrolle darüber.«
»Was hat das mit Isana zu tun?«, wollte Tavi wissen.
Araris zuckte mit den Schultern. »Er könnte die Bemerkung aufgrund seiner Intuition gemacht haben.« Der Singulare lächelte schwach. »Du musst doch zugeben, Isana hat viel mehr zustande gebracht, als Gaius einer Frau von einem Wehrhof zutrauen würde. Sie hat bei der zweiten Schlacht von Calderon eine wichtige Rolle gespielt. Ohne sie wäre Gaius’ Ende vermutlich unausweichlich gewesen, als die Vord seine Meditationskammer angegriffen haben. Und laut Gräfin Amara hat ihre Warnung sie und deinen Onkel vor der Ermordung durch Kalarus’ Unsterbliche bewahrt - und
Weitere Kostenlose Bücher