Der Protektor von Calderon
kam kein Wind auf.
Hoffentlich rutschte sie nicht auf einem Flecken Moos aus.
Oder hoffentlich wurde ihr nicht schwindelig von ihrem klopfenden Herzen.
Oder …
Isana biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf Kitais Rücken sowie ihre eigenen Schritte.
Ein Stück weiter blieb Kitai stehen und breitete die Hände aus, als wollte sie Isana warnen. Isana hielt ebenfalls an, und Kitai sagte: »Es ist genau vor uns.«
»Sehr gut«, erwiderte Isana. Sie streifte sich die Schuhe von den Füßen, schloss kurz die Augen und suchte die Verbindung zu Bächlein. Dann raffte sie ihre Röcke bis zu den Knien hoch und trat in das Wasser des Aquädukts.
Es herrschte eine starke Strömung, die ihre Waden umspülte, Isana jedoch keinesfalls umwerfen konnte. Das Wasser hatte auf dem Weg aus dem Gebirge im Norden bis zur Hauptstadt viele Meilen hinter sich gebracht, und es war eisig kalt. Nachdem sich
Bächlein um sie herum manifestiert hatte, konnte sich Isana auf die Sinne ihres Elementars stützen, und sie war überrascht, wie klar und frisch das Wasser trotz der langen Reise geblieben war.
Der Wachelementar vor ihr erschien als plötzliches, hässliches Druckgefühl. In der unsichtbaren Präsenz im Wasser spürte sie Boshaftigkeit und das Verlangen, Eindringlingen Gewalt anzutun. Plötzlich wurde das Wasser vor ihnen aufgewühlt, dann bewegte sich eine Bugwelle kalter Tröpfchen in einer Linie auf sie zu, als würde ein Hai auf sie zupreschen.
»Du solltest dich lieber hinter mich stellen«, murmelte Isana, und Kitai gehorchte nur zu gern.
Isana hatte keine Ahnung, wo diejenigen, die die Sicherheitsvorkehrungen des Grauen Turms erschaffen hatten, auf diesen bösen Elementar gestoßen waren - oder welchem Geist der Einfall entsprungen war, einen natürlichen Elementar in eine solche Bestie zu verwandeln, doch in der Wildnis des Calderon-Tals hatte sie es schon mit stärkeren zu tun gehabt. Ruhig stand sie vor dem herannahenden Ungeheuer und wartete bis zum letztmöglichen Augenblick, um dem Gegner mit einer Handbewegung Bächlein entgegenzuschicken.
Sie spürte, wie sich ihre Sinne mit denen ihres Elementars vereinten, als Bächlein gegen diesen kalten Wächter prallte. Fünf Fuß vor Isana spritzte es heftig, als die beiden Elementare sich umwanden und miteinander vermengten, Strömungen lebendigen Wassers, die sich verwickelten wie unglaublich biegsame Schlangen.
Kitai stockte hörbar der Atem, doch Isana war zu sehr in der Verbindung zu Bächlein aufgegangen, um sich zu der jüngeren Frau umzusehen. Stattdessen richtete sie Sinne und Willen auf Bächlein, lieh dem Elementar ihre Entschlossenheit und ihre Selbstgewissheit und verschmolz ihre Gedanken mit Bächleins unbeständiger Essenz. Einen Wasserelementar konnte man nicht durch die Macht des Willens überwinden, so wie das bei anderen Elementaren oft möglich war. Wasserelementare konnte man nicht niederringen, sondern nur ändern, neu ausrichten und aufsaugen.
Gemeinsam verwickelten sich Isana und Bächlein mit dem Wachelementar, vermischten sich mit ihm und trennten seine geschlossene Essenz von ihm, die in die unaufhörliche Strömung des Aquädukts ausblutete und verdünnt wurde, während Bächlein in Isanas Gedanken und Willen verankert blieb und seine Gestalt erhalten konnte.
Noch einige Sekunden blieb das Wasser aufgewühlt, dann wurde es langsam wieder ruhig, da der Wachelementar in der Strömung aufgelöst war. Abhängig von seiner Stärke würde er Tage oder gar Wochen brauchen, um sich selbst wieder zu einer Einheit zusammenzuschließen, wenn es ihm überhaupt noch gelang, aber Isana verspürte keine Reue, ein solch gefährliches Wesen außer Gefecht gesetzt zu haben.
Denn man stelle sich vor, wenn nun ein paar leichtsinnige junge Menschen, die gar keine bösen Absichten gegen den Grauen Turm hegten, aus reinem Übermut über den Aquädukt gelaufen wären? Ein solcher Elementar konnte jemanden, der nicht genug Kraft hatte, sich zu wehren, schlicht ertränken oder ein ahnungsloses Opfer von der Kante in den Abgrund stürzen.
Isana schickte Bächlein voraus und ließ ihn nach weiteren feindseligen Wesen suchen, doch er fand nichts außer den feinen Spuren, die von dem Wächter geblieben waren. Dann wandte sie sich an Kitai und nickte. »Erledigt.«
Kitais Augen leuchteten vor Interesse, ja, sogar vor Bewunderung. Die jüngere Frau trat an ihr vorbei, nahm den Rucksack ab, stellte sich auf die andere Seite des Aquädukts und blickte aufmerksam
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