Der Protektor von Calderon
der Menge waren ein gewalttätiger, brodelnder Kessel. Wenn sie nicht bis zur Erschöpfung gearbeitet hätte, wäre sie davongelaufen und hätte sich in einem Loch verkrochen - was ganz und gar nicht damenhaft gewirkt hätte. Doch nun stand eine Leibgarde von acht Legionares vor dem Heilerzelt und begleitete sie. Die Männer waren ziemlich jung, sahen jedoch aus, als wären sie an den Krieg gewöhnt. Ihre Brustpanzer waren nicht mit dem rotblauen Adler der Krone, sondern mit einer schwarzen Krähe verziert.
Die Menge machte ihr Platz, und sie spürte alle Emotionen in ihrer Umgebung, die knisternde Erregung und die Hoffnung, die Verzweiflung und die Angst - und die Neugier.
Besonders auf sie.
Viele Gesichter wandten sich ihr zu, und Stimmen sprachen vor Aufregung lauter. Legionares und Marketenderinnen drängten sich heran, um einen Blick auf sie zu werfen, und zu ihrer größten Verlegenheit jubelten ihr die Menschen sogar zu.
Die Wachen hielten die Schaulustigen auf Abstand, doch eine schlanke Gestalt schlich sich hindurch. Ehren lächelte sie an. »Meine Fürstin«, sagte er, verneigte sich und gesellte sich zu ihr.
»Meine Güte«, sagte Isana und blickte sich unsicher um. »Ehren …«
»Alle wissen Bescheid«, erklärte er. »Die Wahrheitsfinder haben ihre Aussage gemacht, meine Fürstin. Eine solche Sache bleibt nicht lange geheim.«
»Scheint wohl so«, sagte sie.
»Tavi …« Ehren unterbrach sich und schüttelte den Kopf. »Octavian hat mich gebeten, bei dir zu bleiben.«
»Danke für die Gesellschaft«, sagte Isana leise. Sie ging weiter, während sich um sie herum immer mehr Menschen versammelten und sie im trüben Licht zweier Fackeln und kleiner Elementarlampen anstarrten. »Das ist wirklich ein seltsames Gefühl.«
»Kann ich mir vorstellen«, meinte Ehren. »Aber wenn alles gut läuft, ist das kein Vergleich mit dem, was du eines Tages in den Straßen von Alera Imperia erleben wirst.«
»Oh, nein«, sagte Isana.
Man führte sie zu einem kleinen offenen Bereich vor dem Mauerstück, auf dem der Zweikampf stattfinden sollte. Um sie herum unterhielten sich die Zuschauer leise, doch sie achtete nicht darauf. Stattdessen schaute sie den beiden Männern zu, die eine Leiter hinaufstiegen.
Während der nächsten Augenblicke herrschte gespenstische Stille, denn der größere der beiden dehnte und streckte sich. Die Anspannung innerhalb der Menge wuchs und auch das Gedränge, bis Isana sicher war, wenn sie bewusstlos zusammenbräche, könne sie trotzdem nicht umfallen.
Dann folgte ihr Sohn Hauptmann Nalus über die Mauer und stellte sich vor die schlanke Frau, die einige Stunden zuvor beinahe Isana und Araris getötet hätte. Man unterhielt sich kurz. Schließlich wurde gezählt.
Kitai stieß einen höhnischen, trotzigen Ruf aus, und auch die versammelte Menge schrie ihre Angst und ihre Anspannung in die kühle Nacht hinaus.
Die beiden Streiter näherten sich einander, und nun begann ein grelles und schönes und gleichzeitig erschreckendes Schauspiel, wie Isana es noch nie gesehen hatte. Von Tavis Waffen flogen rote und azurfarbene Funken, während von Navaris’ Klingen eklig grüne Blitze ausgingen. Das Licht blendete, und bei jedem Aufleuchten brannte es sich in Isanas Netzhaut.
Auch hatte sie nie zuvor jemanden gesehen, der sich so schnell bewegte wie Phrygiar Navaris, und sie vermochte kaum zu glauben, dass ihr Sohn mit der Geschwindigkeit und der Wut dieser Stecherin mithalten konnte. Mit geschmeidigen Bewegungen kämpften sie unablässig, tänzerisch und tödlich, vier Klingen, die umherwirbelten und zustachen. Stahl klirrte, und die Lichtblitze erfolgten in immer kürzeren Abständen.
Mitgerissen und verängstigt zugleich konnte sie nur zuschauen, und wenn man das Schweigen der Menge als Hinweis nehmen durfte, erging es den anderen Zuschauern ebenso wie ihr.
Navaris trieb Tavi beinahe von der Mauer, und Isana blieb fast das Herz stehen. Dann sah sie, wie er sich drehte, auf scheinbar unmögliche Art Navaris’ Klinge auswich und mit einem weiten Sprung durch die Luft einer jagenden Katze gleich auf dem Dach eines anderen Gebäudes landete.
Die Gegnerin folgte ihm, und dann konnte man die zwei von unten nicht mehr sehen. Stahl klirrte wie ein Trommelwirbel, der eigenartig durch die Ruinen hallte. Bunte Blitze erhellten die Nacht und erzeugten totgeborene Schatten, die so schnell verschwanden, wie sie entstanden waren. Steine prasselten herunter, manche landeten mit dumpfem
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