Der Protektor von Calderon
drehte sich um und sah zur Mauer, wo Araris wartete. Vor heute Nacht hatte er einen so weiten Sprung noch nie gemacht, obwohl er durchaus geglaubt hatte, ihn schaffen zu können. Er fragte sich, ob ihm der Satz gelingen würde, ohne dass ihn eine mörderische Wahnsinnige dazu antrieb.
Er hatte keine andere Wahl. Durch das Menschenmeer würde er sich nicht drängeln können.
Also lenkte er seine Aufmerksamkeit ganz auf sein Vorhaben, zog Kraft aus dem Stein unter sich, Geschwindigkeit aus der nächtlichen Brise und sprang hinüber zum Wehrgang.
Er war zu weit gesprungen und krachte in eine massive Zinne, ehe er sich abbremsen konnte. Seine Rüstung fing die größte Wucht des Aufpralls ab, und er drückte sich vom Stein zurück, als Araris zu ihm trat.
»Arnos!«, keuchte Tavi.
Araris nickte und hielt den Blick auf die Menge gerichtet. »Ich sehe ihn.«
»Los«, sagte Tavi.
Araris rannte den Wehrgang entlang, und Tavi folgte ihm, wobei er unablässig hinunter zu den Menschen spähte, bis er die Gestalt mit dem braunen Kapuzenmantel entdeckte, die sich grob durch das Gewühl zur anderen Seite der Ruinenstadt drängte.
Dann blieb Arnos plötzlich stehen und ging rückwärts. Tavi sah an ihm vorbei. Zwei Marat hockten ein Stück vor dem Senator auf einer Mauer. Ihre gefärbten Mähnen wehten im Wind.
»Hier!«, sagte Tavi. Er lief zu einer Leiter, die an der Mauer
lehnte, nahm mehrere Sprossen auf einmal und klammerte dann seine Stiefel von außen an die Holme, um sich auf diese Weise rasch hinunter auf den Boden gleiten zu lassen. Er drehte sich um und war noch keine zwei Schritte gegangen, als Araris hinter ihm unten ankam. Der Singulare stürmte an Tavi vorbei, zog das Schwert und schlug auf den Steinboden, während er rannte. Bei jedem Aufprall stoben Funken auf, und Araris brüllte: »Platz da!«
Die Menschen wichen auseinander. Tavi lief auf die Marat zu, die einen Kreis um Arnos gebildet hatten, eine ihrer klassischen Vorgehensweisen bei der Jagd. Keiner von ihnen versuchte jedoch, den Senator zu ergreifen. Die Marat hatten ein starkes Gefühl dafür, was angemessen war. Arnos galt zunächst einmal als Tavis Feind. Solange nicht irgendwelche wichtigen Gründe dagegen sprachen oder sich die Lage entscheidend änderte, würden sie es Tavi überlassen, sich mit ihm zu befassen.
Tavi holte den schnaufenden Senator ein, als dieser sich durch eine Gruppe Markentender drängte, einen alten Händler umstieß und eine Frau an den Armen packte. Er schüttelte sie und fauchte ihr etwas ins Gesicht, das Tavi nicht verstehen konnte.
»Guntus Arnos!«, brüllte Tavi.
Arnos riss den Kopf herum. Er fletschte die Zähne, starrte Tavi verzweifelt an, riss die Frau herum, brachte ihren Körper zwischen sich und Tavi und setzte ihr einen Dolch an die Kehle.
»So war das nicht geplant!«, schrie Arnos.
Araris trat einige Schritte nach links, Tavi nach rechts. Tavi hatte das Schwert gezogen. Mit Schrecken erkannte er die Frau: Es war die Gefährtin des Ersten Speers. Der Lärm von Legionares und Zivilisten um sie herum ebbte langsam ab.
»Es ist vorbei, Arnos!«, sagte Tavi. »Lass das Messer fallen.«
»Nein«, schrie Arnos. »Bestimmt nicht. So wird die Sache nicht enden.«
»Doch«, erwiderte Tavi. »Es ist vorbei. Lass die Frau gehen.«
»Wahnsinn!«, schrie Arnos und schüttelte den Kopf der Frau,
deren Haar er gepackt hatte. »Wahnsinn! Du kannst es doch nicht einfach zulassen! Du kannst…«
Plötzlich zuckten sowohl Arnos als auch die Frau heftig, und aus ihrer Brust ragte der Schaft eines Bolzens, der von einem Canim-Balestrum stammte.
Das Gesicht der Frau wurde weiß, und sie verdrehte die Augen. Ihre Knie gaben nach, und sie sank zu Boden, die Arme ausgebreitet, den offenen Mund gen Himmel gerichtet.
Arnos stand hinter ihr, und der Dolch fiel ihm aus der Hand. Er starrte auf das Blut, das aus dem Loch in seiner Brust strömte, wo der Bolzen auch ihn durchbohrt hatte. Voller Entsetzen und dennoch atemlos und kraftlos schrie er, und er fuhr mit der Hand über seine Brust, als könnte er die Wunde wegwischen, wenn er es nur rasch genug machte.
Tavi ging zu ihm, und Araris folgte.
Arnos hustete verzweifelt, blutiger Schaum quoll ihm aus dem Mund. Seine Hände bewegten sich weiterhin, doch die Finger waren schlaff, und er patschte nur sinnlos in das Blut, das aus der riesigen Wunde strömte, welche das Canim-Geschoss hinterlassen hatte.
Tavi gab den Marat Handzeichen. Bogenschütze. Diese Richtung. Findet
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